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Augen zu und durch?

Darf man das schreiben? "Der Ungar" schiebt eine unerschütterliche Griesgrämigkeit vor sich her und ist auch mit einem Lächeln nicht aus der Façon zu bringen. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel, und dass der Nachbar zur angemieteten Ferienwohnung ausgerechnet in dem Moment der Anreise seinen Hochleistungsrasentrimmer in Gang setzt, obwohl ihn der Ferienhauseigentümer gebeten hatte, das Projekt der Gartenpflege doch bitte so lange zu vertagen, bis der Gast wieder abgereist ist, kann einem sicher auch in Deutschland passieren. Die Konsequenz aber, wie offen teilweise Übellaunigkeit dem Fremden gegenüber signalisiert wird, ist schon einigermaßen beeindruckend.

Andererseits: Immer genau in den Momenten, in denen man am liebsten entnervt das Land hinter sich lassen möchte, trifft man auf so viel Freundlichkeit, die einen alle Grobheiten vergessen lassen. Ildiko mit ihrem Selbstgebackenem etwa - oder ausnahmslos alle Interviewpartner. Und doch: Ungarn tickt anders. Anders zumindest als zuletzt die Slowakei und Tschechien. Gefragt nach den Gründen, was für die Kühlheit der Anlass sein könnte, weiß die Gesprächspartnerin beim Kaffee auch nicht die rechte Antwort.

Ungarn sei ein autokratischer Staat, der seine Medien und damit das öffentliche Bild kontrolliere; die Politikverdrossenheit sei groß; sagt sie, zugleich genieße Ministerpräsident Viktor Orbán - gerade erst mit seiner rechtsnationalen Fidesz-Partei mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt - großes Vertrauen, er regiert damit zum vierten Mal in Folge. Das Land sei arm, man fühle sich von Europa gegängelt; die Sehnsucht nach einem Großungarn sei groß, wie die nicht wenigen Aufkleber auf Autos demonstrierten. Mit Großungarn ist das Ungarn vor 1920 gemeint, bevor das Land mit dem Friedensvertrag von Trianon zwei Drittel seines Territoriums an Österreich, die Tschechoslowakei, Rumänien und zum Teil an das spätere Jugoslawien verlor. 

Außerdem: Die Sprache sei kompliziert und für einen Ausländer wenig verständlich, zugleich spreche man hier eher schlecht englisch, und weil manchen Ungarn die Unkenntnis unangenehm ist, würden sie ihre Scham mit Schroffheit verdecken. Die offene homo- und transgenderfeindliche Politik sei der Grund, warum ein von ihr (der Gesprächspartnerin) befreundetes schwules Paar das Land Richtung London verlasse, und es sei längst nicht das einzige. 

Es fällt schwer, das Ungarn mit dem Ungarn in Verbindung zu bringen, das man von früher kannte. Das als erstes sozialistisches Land mutig seine Grenzen für DDR-Flüchtlinge Richtung Österreich öffnete, ein erster wichtiger Schritt zur Wende. Das 1989 das paneuropäische Picknick organisierte, die Wegmarke zum Fall der Mauer. Das bei allen komplizierten historischen Verbindungen und Ressentiments gegenüber anderen Minderheiten wie den Roma oder Serben und aktuell noch immer politischer Verbundenheit zu Russland Flüchtlinge aus der Ukraine mit einer großen Welle der Hilfsbereitschaft empfängt und sie finanziell unterstützt.

Wie also geht das alles zusammen? 

Versucht man, sich einen Eindruck von den Befindlichkeiten der Menschen zu verschaffen, weichen die Befragten aus, winden sich die Antworten in Nichtssagenheiten. "Man sei kein politischer Mensch", heißt es immer wieder - man interessiere sich nicht dafür, man möchte einfach nur leben. 

Vielleicht ist die Politikverdrossenheit auch eine Medienverdrossenheit. Verdrossenheit von dem immer gleichförmigen Bild im In- und vom immer selben Bild, das das Ausland von Ungarn offeriert. Vielleicht hängt auch alles zusammen. Nur: Mit 70 Prozent ist die Wahlbeteiligung so schlecht nicht gewesen. Eine Journalistin sagt mir, nicht Orbán hätte die Wahl gewonnen, die Opposition hätte sie verdient verloren ob der schlechten Performance. 

Es ist nicht einfach.

Augen zu und durch?
Ein paar Tage bleiben noch. 



"Die Konsequenz aber, wie offen teilweise Übellaunigkeit dem Fremden gegenüber signalisiert wird, ist schon einigermaßen beeindruckend."


"Es fällt schwer, das Ungarn mit dem Ungarn in Verbindung zu bringen, das man von früher kannte. "