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"Königsmühle am Fuße des Berges Klínovec ist eine traumhafte Stelle,
es ist eine Quelle der Energie. Dort fühle ich mich stark."

Im Erzgebirge - entlang der alten Grenze zwischen Tschechien und der ehemaligen DDR und in unmittelbarer Nähe zu Oberwiesenthal - stößt man auf Ruinen der Siedlung Königsmühle. Für den Prager Petr Mikšíček  ist der verlassene Ort eine Quelle der Inspiration.

Was reizt Sie so sehr an der Vergangenheit? 
Im Jahr 2000 bin ich 1000 Kilometer zu Fuß um die Tschechische Republik herum gewandert. Diese Waldwanderung, so nenne ich es immer, hat mein Leben verändert. Während dieser Zeit bin ich auf die Überreste der ehemaligen Siedlungen gestoßen. Das hat mich extrem begeistert. Seither weiß ich, was ich mit meinem Leben machen soll. 

Nämlich?
Der Geschichte der ehemaligen deutsche Bevölkerung im Grenzland studieren, um dann darüber zu schreiben, zu fotografieren und zu drehen - und in letzter Zeit auch zur virtuellen Realität zu machen.

Was hat Sie bei Ihrer Wanderung besonders überrascht?
Mir war nicht klar, wie groß der Einfluss der Geschichte auf die Landschaft ist. Früher lebten hier im Erzgebirge zehn Mal mehr Menschen als jetzt. Das heißt, viele Häuser sind heute verfallen oder zerstört; viele Wege sind leer oder verschwunden. Viele Stellen vermitteln das Gefühl einer "Geisterlandschaft", das regt meine Fantasie an; ich stelle mir vor, wie das früher ausgesehen hat, ich visualisiere die Vergangenheit. Ostböhmen dagegen, also dort, wo es heute noch so aussieht wie vor 100 Jahren, wo nichts fehlt, wo alles noch so unverändert dasteht, das ist nichts für mich. 

Gibt es einen bestimmten Ort, der Sie besonders inspiriert?
Königsmühle am Fuße des Berges Klínovec. Früher war dort eine kleine Siedlung mit sechs Häusern, jetzt stehen dort sechs Ruinen, und das ist die große Ausnahme. Denn normalerweise ist von den alten Siedlungen nichts übrig, absolut nichts, nur kahle Landschaft. In Königsmühle bin ich wirklich häufig. Es ist eine traumhafte Stelle, es eine Quelle der Energie. Dort fühle ich mich stark.

Was ist aus den Menschen dort geworden?
Alle 53 Einwohner wurden unmittelbar nach Kriegsende vertrieben. Aber wir haben das Glück, dass die letzte Zeitzeugin, sie wurde in Königsmühle geboren, heute nur wenige Kilometer entfernt wohnt. Sie hat auch ein Buch über ihre Zeit dort geschrieben. Und sie ist bei jedem Landart-Festival dabei, das wir jedes Jahr in Königsmühle organisieren. Mit Musik aus Tschechien und Deutschland, mit Künstlern und Workshops, es geht darum, die Geschichte lebendig zu machen.

Wie ist heute das Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen? 
Ich denke, es ist gut, Tschechen und Deutsche sind bessere Nachbarn als hiesige Tschechen und Prager. Alle hier hassen die Prager. 

Wieso das denn?
Sie sind reich, haben viel Geld, führen sich auf wie die Könige der Welt. Ich als Prager stehe da immer zwischen und versuche zu vermitteln. 

Was ist Ihre Vision von der Zukunft?
Ich baue gerade hier im ehemaligen Grenzland eine alte Fischfabrik zu einem Kulturzentrum aus; früher hat hier der Industrielle Anton Kalla Fisch mariniert, er hatte mit einem kleinen Lebensmittelgeschäft angefangen, allein in diesem Haus waren am Ende 300 Angestellte beschäftigt. Auch davon ist heute nichts mehr übrig. 

Was bedeutet Ihnen das Erzgebirge?
Die Wälder, die Wiesen, es ist für mich das Paradies auf der Welt. Es ist eine Landschaft, die fürs Leben gemacht ist. Hier ist gute Luft, aber auch ein bisschen raues Klima, es gibt kleine Berge, kleine Täler, alles geht langsam, schöne Aussichten, aber auch viel Geschichte. Für mich ist das Erzgebirge Heimat, hier fühle ich mich glücklich.

  • Zur Person 

    Petr Mikšíček ist in Prag geboren. Er hat Kulturwissenschaften studiert und fand bei einer Wanderung durchs Erzgebirge sein Lebensthema; in dieser Zeit hat er auch die Ruinen von Königsmühle entdeckt. Heute findet dank seiner Initiative dort einmal im Jahr ein Kulturfest statt. Wer dazu mehr wissen: https://konigsmuhle.cz/de/jahr-2017/vergangenheit-und-zukunft/

    Von ihm unter anderem erschienen ist das Buch "Stiefheimat" - es geht darin um die Besiedlung des deutsch-tschechischen Grenzgebietes und die Veränderung nach 1945.
    Das Buch der letzten Zeitzeugin aus Königsmühle heißt "Eine Reise in meine Kindheit"; geschrieben hat es Rosemarie Ernst. Sie lebt heute in Oberwiesenthal.

    "Lebendiges Erzgebirge" ist eine von Mikšíček entwickelte App, die es dem Besucher des Erzgebirges ermöglicht, an 39 Orten Geschichte virtuell zu erleben. Zeitzeugen kommen zu Wort, Schauspieler erzählen, verlassene Orte werden wieder lebendig. Die App ist im Appstore kostenlos erhältlich.

Fisch aus dem Erzgebirge

Einer Legende zufolge soll Anton Kalla (1848 - 1912 ) einem Schweden das Leben gerettet haben - als Dankeschön versprach der dem Industriellen im Gegenzug, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Und so sei Kalla auf die Idee gekommen, mitten im Erzgebirge - weitab von Fluss und Meer - Fisch aus der Nordsee zu marinieren. Ob das alles den Tatsachen entspricht - who knows. Fakt aber ist; der marinierte Fisch von Kalla kam aus dem Norden - und er wurde weit über die Grenzen bekannt; im damaligen Schmiedeberg / heute Kovářská ließ Kalla auch die Konserven produzieren. "Jedes Kind, jeden Tag ein Bückling" sei der Leitfaden gewesen sein. Dem Vernehmen nach verarbeitete die Firma Kalla jährlich etwa 2 500 000 Kilogramm Rohfisch. Nach der Vertreibung wurden die ehemaligen Fabriksräume dem Verfall überlassen. Der umtriebige Petr Mikšíček nun will sie mit Kunst und Kultur zum Leben erwecken.