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Jeden Tag Staunen

Seltsam, da plant man lange an einer Reise, bricht dann endlich auf - und beinahe schon beim ersten Zwischenstopp möchte man gleich wieder bleiben. Weil man sich wohlfühlt. Weil einem die Landschaft gefällt, die Leute. „Das Aufbrechen ist schwer, das Unterwegssein fällt leicht“, hat mal jemand gesagt, und in der Tat, genauso ist es. Alles Unbekannte kostet Kraft, der Mensch sehnt sich nach festen Rhythmen. Und während auch ich jeder Abfahrt zu einem neuen Projekt deswegen bisher mit gemischten Gefühlen entgegen sah, fiel der Abschied diesmal besonders schwer. Eine Reise durch den Osten? Ausgerechnet jetzt? Und die Reaktionen im Umfeld machten es nicht eben besser. Und bis heute hat sich das Unwohlsein nicht ganz gelegt, jeder Blick auf die Nachrichten verursacht Trauer und Beklemmungen. Und doch oder gerade deswegen: Das Unterwegssein tut gut. Es vermittelt einem das Gefühl, als wäre alles zumindest halbwegs in Ordnung.

Tschechien liegt nun hinter mir - und beinahe jeder Tag war und ist ein Staunen. Darüber, wie wenig man sich die Region bisher erschlossen hat, obwohl sie so nah liegt. Näher als Italien. Und auch in Frankreich ist man schon so oft gewesen. So viel zu sehen auch hier, so viel zu lernen, hinter jeder Kurve neue Eindrücke;  Erzgebirge, Püglitzer Wald, tschechisches Paradies. Und die Menschen ausgesprochen freundlich. Und die, die es nicht sind: Ich habe es mir zur Routine gemacht, ausgerechnet die Grimmigen um Rat zu fragen, und in den meisten, nein, in bisher allen Fällen, verabschiedeten sie sich am Ende mit einem Lächeln. 

Der Grenzübertritt selbst - kein Problem; das Grenzhäuschen verweist, kein Schlagbaum, kein Schild, nichts deutete darauf hin, dass früher hier mal Zollbeamte ihre Macht ausspielen konnten. Und seither habe ich auch keine Maske mehr getragen, Corona hat sich mit der Einreise verabschiedet. Mit Englisch klappt es hier ganz gut, die meisten Jungen sprechen es, die Alten mit Glück noch etwas Deutsch - und wenn nicht, geht es auch anders. Děkuji - und dobrý den.

Der alte Volvo rödelt derweil ruhig vor sich hin; innen dabei das Gefühl, mit einer Schrankwand zu verreisen. Super liegt aktuell bei 1,70 Euro. Das Internet ist selbst in den einsamsten Ecken besser als in Brandenburg. Man trinkt hier viel Bier, isst kleine Puddingteilchen, und überhaupt - man lässt es sich gutgehen, ja nach Mittel und Möglichkeiten. Was auffällt: Wie wenig Fastfood-Müll auf den Straßen liegt. Und was auch auffällt; wie viel weniger das Land zersiedelt ist. Eigenheimghettos scheinen deutsche Exklusivität. Die Menschen auf dem Land fahren mangels Geld und damit mangels Auto viel Bus. Und die, die es nicht tun, nehmen Geschwindigkeitsbegrenzungen eher als Empfehlung.

Wenn nichts dazwischen kommt, bleiben mir pro Staat etwa zwei Wochen - und mit etwas Glück reicht es  dann vielleicht wirklich bis nach Kasachstan. 

Tschechien - alles so vertraut hier

Eine Reise durch Tschechien gleicht einer Reise in die Vergangenheit, alles so vertraut hier, zumindest für jemanden, der wie ich in der DDR aufgewachsen ist. Die Plattenbauten, die hier noch zur Wohnungskultur gehören. Das allgegenwärtige Grau. Den - man hatte es fast vergessen - aus Prinzip griesgrämigen Verkäuferinnen, wobei ein Großteil der kleinen Geschäfte offenbar in asiatischer Hand liegt. Der Lada ist hier keine Seltenheit, auch wenn sich die Modelle sonst kaum von denen auf deutschen Straßen unterscheiden. Und im Fernsehen läuft tatsächlich "Heißer Draht ins Jenseits" - das ist zwar eine alte ungarische Zeichentrickserie, irgendwie aber fühlt sich das tatsächlich an wie eine Zeitreise: "M Z per X, M Z per X, bitte melden, aber ohne Tricks."

Stationen bisher:

  • Böhmische Schweiz mit dem Prebischtor. 
  • Ústí nad Labem - Industrie- und Studentenstadt mit empfehlenswerten Museum. Aussig - so der deutsche Name - machte übrigens 1999 weltweit Schlagzeilen, als dort eine 65 Meter lange Betonwand um ein Roma-Viertel entstand.
  • Theresienstadt (Terezín)
  • Ostrov - früher Schlackenwerth. Mit eindrucksvollen Schlossgarten, vom Herzog von Sachsen-Lauenburg 1625 anlegen lassen - zu seiner Zeit als "achtes Weltwunder" gerühmt.
  • Königsmühle - der verlassene Ort im Niemandsland
  • Pürglitzer Wald (Landschaftsschutzpark Křivoklátsko) - die große Überraschung. Zauberhaft schön mit Burgen, Bergen und Tälern. 
  • Böhmisches Paradies (Český ráj) - ähnlich sehenswert. Und selbst zu Ostern trotz der Nähe zu Prag nicht zu überlaufen. 


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Momente