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Kurz-Porträts

Der Obstretter

August Gril ist ein stiller Mann mit einem einnehmenden Lächeln. Vor sich hat er ein Glas Wasser stehen, er lehnt sich in den Sessel zurück, atmet tief durch und beginnt zu erzählen. Über seine Kindheit, die Zeit, als die Partisanen kamen, über seinen Vater, der eine Gastwirtschaft betrieb, über die Jahre, als er seinen Posten als Direktor in einem landwirtschaftlichen Kombinat verlor, weil er nicht Mitglied der Partei werden wollte und er erzählt, wie er sich dann mit einem Baubetrieb selbstständig machte. Seine Sätze springen, Vergangenheit, Gegenwart - Zukunft, alles geht ineinander über, die Erinnerung stolpert, es ist nicht ganz einfach, ihm zu folgen.

August Gril gehört zu den Menschen, die getrieben werden, die keine Ruhe finden können. Geboren 1938 (er sagt: Eintausendneunhundertachtundreißig) in Pöllandl in der Gottschee, einer ehemals deutschsprachigen Insel im Süden Sloweniens, hat sich seine Familie anders als die meisten Deutschsprachigen in der Umgebung während des Zweiten Krieges dem Ruf, "Heim ins Reich" entzogen, wirtschaftlich sei es zwar schwierig gewesen, irgendwie aber hatte man sein Auskommen. "Das war eine schwere Zeit", sagt er. "Gearbeitet wurde Tag und Nacht."

August Gril erzählt sich durch die Zeit; Jugend, Arbeit, Familie, irgendwie hat man überlebt. Dem Krieg folgte der Kommunismus, mit der erzwungenen Selbständigkeit kam die Karriere - und mit der Rente der Entschluss, sich noch einmal neu auszuprobieren. Und so gründete er in Zusammenarbeit mit Biologen ein EU-Forschungsprojekt zum Schutz alter Obstsorten in seiner alten Heimat. Apfelbäume, Birnbäume, Pflaumen, Aprikosen - es gehe darum, sagte er, historische - im Gottscheer Land beheimatete Obstsorten - zu veredeln und so für nachfolgende Generationen zu retten.

Über 300 seltene und längst vergessene Sorten umfasst inzwischen die Gendatenbank, und die Suche geht weiter. Zunächst hatte Gril sich alleine ausprobiert, heute umfasst die Gruppe 30 Mitstreiter, die Plantage in Grosuplje ist die einzige ihrer Art in Slowenien. Mit der Entsiedlung der Gottschee durch die Nazis und Kommunisten verschwanden waren auch die alte Obstsorten aus der Landschaft, die Industrie, die heute nur noch Standartsorten züchtet, tut ein Übrigens; die Sorten verkümmern, die genetische Vielfalt bleibt auf der Strecke.

Seinem Vater habe er auf dem Sterbebett versprochen, nie zu vergessen, wo er herkomme, sagt August Gril. Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas. Draußen treibt der Wind Regen übers Land, ganz in der Ferne ist das Rauschen einer Straße zu hören - und irgendwie hat man das Gefühl, hier hat jemand seine Mission gefunden. Vergangenheit, Zukunft, alles geht ineinander über.

Auf einen Blick

Auf dem Territorium Sloweniens lebten vor dem Zweiten Weltkrieg 30 bis 40 000 Deutschsprachige; heute sind es noch etwa 3000 bis 5000. Anders als etwa die Ungarn und die Italiener sind sie nicht als Minderheit anerkannt.

Von der sogenannten "Umvolkung" waren während des Nazoherrschaft auch die Gottschee-Deutschen betroffen; ihre Organisationen hatten den Machtantritt Hitlers bejubelt - und es gab den Befehl, sie „Heim ins Reich“ zu holen. Nur knapp 400 Angehörige blieben zurück unter der italienischen Besatzungsmacht, sie entzogen sich dem politischen und psychischen Druck. 

Nach dem Krieg bekamen alle Jugoslawiendeutschen unabhängig von ihrer Gesinnung den Würgegriff der neuen Machthaber zu spüren, man entzog ihnen - wie auch politisch Missbilligen und Regimekritischen - das Vermögen und die Bürgerrechte, viele wurden vertrieben oder sie starben in Internierungslagern.

Aufgrund des starken gesellschaftlichen und politischen Drucks nach dem Krieg und in den Jahren danach sind die meisten Dialekte verschwunden, auch die Gottscheer Mundart - eine Variante aus dem Pustertal in Tirol; sie wird nur noch von wenigen, meist älteren Menschen gesprochen.  

Die Rechercheure

Andere schreiben in ihrem Leben ein Buch, Grete und Hans Riedl haben es auf bisher 30 gebracht. Jetzt sitzen die beiden in ihrer Küche im österreichischen Mureck - und dass man sich hier in ihrem Haus nahe der Grenze zu Slowenien trifft, liegt an ihrem Fleiß und ihrer beinahe detektivischen Recherchearbeit. 

Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Ihre Sprache war Deutsch“, es umfasst 800 Seiten, es geht darin um die ehemaligen deutschsprachigen Volksgruppen Europas - vom Kaukasus bis Ostpreußen, von Kasachstan bis Südtirol, und wenn auf dem Cover steht, „dieses Buch ist nichts für schwache Nerven“, hat es einen guten Grund. Erzählt wird von Mord, Totschlag, Flucht und Vertreibung; zwei Jahre haben sie an dem Werk geschrieben, geforscht, einen Großteil der Länder bereist, Interviews mit Zeitzeugen ausgewertet. 

Hans Riedl sagt: „Man kann die Zukunft nur leben, wenn man die Vergangenheit kennt.“
Grete Riedl sagt: „Es soll nicht vergessen werden, das ganze Leid, das ganze Elend.“

Früher betrieben der gelernte Bäcker und seine Frau ein Unternehmen für Nutztiere, aus den Stallungen wurde später ein Museum für Oldtimer, zugleich belieferten sie 30 Geschäfte mit ihren Backwaren; Hans Riedl stand in der Backstube, Grete Riedl fuhr die Mehlspeisen aus. 

Heute sind Bücher ihr Leben. Ihr erstes Werk hieß „Spurensuche im Gottscheer Land“. Auslöser war ein Besuch in einem kleinen Dorfmuseum in Slowenien, bei dem sie zufällig auf eine Karte von 1941 mit den alten Siedlungen stießen. Zunächst war nur die Idee, die einzeln ausgewiesenen Orte abzufahren, dann aber ergab eines das andere. 16 bis 17 Mal reisten sie in die Region, fotografierten, recherchierten - das Thema ließ sie nicht mehr los. 
Für das Werk "Ihre Sprache war Deutsch" haben sie in beeindruckender Fleißarbeit Schicksale zusammengetragen; Menschen aus dem slowenischen Gottschee kommen dabei ebenfalls zu Wort wie Vertriebene aus der Bukowina. 

Fragt man Hans und Grete Riedl nun, ob es nach all der Recherche, nach all dem Tod und Verderben für sie noch so etwas wie einen Glauben an das Gute im Menschen gibt, werden die beiden still.

Zum Thema

  • Im Kulturverein der deutschen Jugend/Kultur wird aktuell in in Laibach (Ljubljana) die Wanderausstellung "In zwei Welten – 25 Deutsche Geschichten“ gezeigt. Es ist ein  Projekt der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der FUEN.
  • Seit 2017 gibt der Kulturverein deutschsprachiger Jugend in Laibach die Laibacher Zeitung (LBZ) heraus. Chefredakteur ist Christian Lautische, der zugleich als Vorsitzender des Dachverbandes der Kulturvereine der deutschsprachigen Volksgruppen in Slowenien firmiert. Mehr dazu hier: https://laibacher-zeitung.si
  • In Marburg (Maribor) hat der sehr engagierte Kulturverein deutschsprachiger Frauen „Brücken“ seinen Sitz. Das Angebot reicht von Sprachunterricht bis zum Literaturkreis. Mehr dazu hier: https://drustvo-mostovi.com/de/predstavitev-drustva/