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"Marion! Komm! - Essen!"

Pflaumen mit Oliven verwechselt. Vermieterin in Panik versetzt wegen angeblicher Stromsperre: am Ende aber steckte nur der Wasserkocher nicht in der Steckdose. Aha-Effekt später auch im Auto: Lüftung einschalten hilft gegen Hitze; die Erkenntnis kommt nach tagelangem Schwitzen bei 41 Grad und 7000 Kilometern Fahrt.

Die Mutti dazu: "Wie witzig."
Die Tochter betreten: "Eher: Wie dämlich."
Die Mutti wieder ganz Mutti: "Ist doch egal." 

Es ist nicht alles Gold, was glänzt; in der Lehre schrieb der Werkstattleiter nicht ohne Grund ins Zeugnis: „Unter Anleitung ist sie in der Lage..." Man fragt sich inzwischen ja auch selbst, wie man es bis hierher schaffen konnte. Aber gut, es sind die kleinen Erfolge, die zählen.

Ich bin also spät dran; wie immer. Aber die Zeit reicht von hinten bis vorne nicht. Fahren, fahren, fahren, wandern, fotografieren, Leute interviewen, Route planen, Zimmer suchen, Fotos sortieren, Fotos bearbeiten, schreiben, schreiben, schreiben, fahren, fahren, fahren, sich dumm anstellen - und ehe man sich versieht, ist man in: Kroatien. 

Dabei ist Slowenien quasi redaktionell noch nicht einmal aufgearbeitet - und wenn man die Tage zusätzlich dann noch bei einer Familie verbringt, die sich morgens, mittags, abends meldet mit den Worten: "Marion! Komm! - Essen!" - ist der Zeitplan von hinten bis vorne nicht mehr zu retten.

Aber will man sich wirklich über Gastfreundschaft beklagen?! Denn wenn man eines bisher auf dieser Reise gelernt hat, dann: Mögen Regierungen noch so korrupt und Verkäuferinnen im Osten noch so abweisend sein; die Herzlichkeit zumindest im persönlichen Kennenlernen ist ein Geschenk, in bisher jedem Land gab es ein oder eine Ildiko (Ungarn - Ildiko für = besonders herzlich).

Jaro in Tschechien etwa, Jana in der Slowakei, Michael und Wanja in Slowenien - und dann Draga und Martina in Kroatien: "Marion! Komm! - Essen!"

Das wars in dem Fall übrigens mit den Vokabeln auch schon; anders als ihre Tochter spricht Draga kein Englisch und so eiern wir uns nach der Abreise von Martina durch die Konversation. Zum Glück hilft Google - und so erfahre ich von Dragas 300 Euro Rente im Monat, von der sie sagt, dass sie damit in Kroatien im guten Mittel liegt und sie erzählt, wie schwer das Leben trotz aller Bescheidenheit sei.

Draga ist 60 Jahre alt, seit fünf Jahren ist sie verrentet; davor hat sie in einer Füllfederhalter-Firma in Zagreb für Pelikan gearbeitet; die giftigen Dämpfe haben sie an Leukämie erkranken lassen. Heute lebt sie in einem minibescheidenen kleinen Haus in den Bergen in einem abgelegenen Dorf mit sieben Einwohnern. Gekocht wird auf dem Holzofen, gelebt von den Dingen aus dem Garten, sie schläft auf einem Sofa in der Küche, und jeden Montag ist für drei, vier Stunden Stromausfall. 

Es sind Begegnungen wie diese, die diese Reise so besonders machen. Abseits der Touristenströme. Jenseits aller Gediegenheit. In Slowenien sagte Mihael: "Fremde vergeben, Freunde vergessen", was für ein schönes Sprichwort. Und am liebsten würde ich - wäre ich nicht längst schon wieder unterwegs - Draga jetzt in den Arm nehmen und ihr sagen, dass sie sich um die Zukunft nicht sorgen müsse. Eines Tages werden wir uns hoffentlich wiedersehen.

„Draga! Komm! - Essen.“

Slowenien

In den ehemaligen Teilrepubliken Jugoslawiens gilt Slowenien als Streberland, als eine Art Schwaben des Balkans. Seit 2004 Mitglied der EU war es beim Eintrittsdatum das mit Abstand wohlhabendste der neuen Beitrittsländer. Aktuell steht Slowenien auf Platz 24 des Human Development Index, vor Frankreich (27). Angeführt wird die Liste übrigens von: Norwegen (Deutschland: Platz 5). Den Slowenen geht es also verhältnismäßig gut. Die Bevölkerungszahl steigt und es gibt eine stabile Mittellinksregierung. Und doch: Das  Land ist gespalten.

Auf der einen Seite der reiche Nordwesten, verwöhnt mit atemberaubend schöner Natur und profitierend von seiner Nähe zum properen Österreich, auf der anderen der arme, teils ungarische besiedelte Osten, wo die Menschen ebenfalls fleißig ihren Alltag bestreiten und dennoch kaum ein Auskommen haben.

Alle Hoffnungen der zwei Millionen Einwohner liegen nun auf dem grün-liberalen Robert Golob, dem gerade neu gewählten Ministerpräsidenten; im Vorfeld der Wahl hatte er mehr Demokratie, Transparenz und Rechtsstaatlichkeit versprochen. Rechtspopulist Janez Janša musste nach drei Amtsperioden seinen Posten räumen. Jetzt gilt, die Gräben zu überwinden, auch die historischen.

Nach der Aufteilung im Zweiten Weltkrieg durch die Besatzer (Ljubljana und der Südwesten gingen ans faschistische Italien, der östlichen Streifen der "Drau-Banschaft" an Ungarn, der Rest wurde dem großdeutschen Reich zugeschlagen), wurden mehr als 80 000 Slowenen überwiegend nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert (Umvolkung wurde das genannt), viele überlebten nicht, 50 000 wurden in Konzentrationslagern ermordet; darunter Juden, Roma und Sinti, Intellektuelle, Geistliche, Partisanen - Ziel war die Auslöschung alles Slowenischen.

Nach dem Krieg folgte dann der kommunistische Terror, zu den Opfern von Titos Partisanen zählten Slowenen, deutsche Soldaten, Angehörige der deutschen Minderheit, Kroaten, Serben, Montenegriner, Italiener und Ungarn. Die Rede ist von 100 000 Opfern. Laut Wikipedia wurden bisher 600 Massengräber aus der Zeit rund um das Ende des Zweiten Weltkrieges registriert, für viele Weitere gebe es Hinweise.

Schöne Momente