"Niemand hat hier Angst. Sollte die Slowakei wie die Ukraine angegriffen werden,
werden wir tapfer in den Krieg gehen."
So viel Zeit und zugleich keine. All das aufzuschreiben, all das festzuhalten, die vielen Begegnungen, die vielen Eindrücke. Alles verschwimmt, wird eins - ist man tatsächlich erst vor drei Wochen losgefahren?
Während Tschechien noch eine Art Heimspiel war, ändert sich mit der Slowakei der Gesamtauftritt. Andere Architektur, andere Farben, mehr Armut, mehr Fremde. Die Schlehen blühen, kleine kastige Häuser flankieren die Straßen, Oberleitungen hängen träge im Tageslicht.
Zum Auftakt ein Abstecher in die Kleine Fatra, die so klein gar nicht ist; Schnee noch immer, mitten im Frühling. Beim Wandern dämpft ein Sturz die Euphorie; trotz Karte verliert sich der Weg, Panik bricht sich Bahn - immerhin, die App auf dem Handy rettet aus der Wildnis. Aufbruch am nächsten Morgen mit blauem Fleck auf lädierten Arm, weiter Richtung Osten, der alte Volvo röchelt von Serpentine zu Serpentine.
Seit 2004 ist die Slowakei Mitglied in der Europäischen Union und der Nato, und anders als in Tschechien wird hier auch in Euro bezahlt. Und während die Republik lange als Paradebeispiel für eine gelungene Osterweiterung stand, verliert sich die Slowakei inzwischen in Korruption; Filz lähmt die Verwaltung, Spitzenpolitiker verstricken sich in Skandale, die Regierungspartner überziehen einander mit Vorwürfen und Beschimpfungen, ein Verfahren gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten Robert Fico wegen Missbrauch bestimmt aktuell die Schlagzeilen.
Zwar hat die neue Regierung um Ministerpräsident Eduard Heger offiziell der Korruption den Krieg erklärt, doch an einen echten Sinneswandel glaubt dagegen kaum jemand; das zumindest sagt Peter Böhm. Und wenn der 67-Jährige dagegen ein Loblied auf Rudolf Schuster singt, dem einstigen Präsidenten der Slowakei, überrascht das kaum. Denn im Moment stehen wir in dem Haus, in dem Schuster aufgewachsen ist, das Ganze ist heute ein Museum, es beherbergt dessen beeindruckende Sammlung an Fotokameras und Filmapparaten, einige davon Geschenke aus höchster Hand, darunter etwa eine Leica von Gerhard Schröder, dessen unerschütterliche Loyalität zu Russland sich bis hier ins Vierländereck herumgesprochen hat. Peter Böhm selbst leitet das Museum, wie der Politiker ist er in Metzenseifen (Medzev) aufgewachsen - und wie er ist er ein Karpatendeutscher, ein Mantake, Geschichte verbindet.
Bis ins vergangene Jahrhundert stellten die Karpatendeutschen in Metzenseifen die Mehrheit der Bevölkerung, heute sind es noch sechs Prozent der 4100 Einwohner. Und auch wenn ihr Einfluss immer mehr schwindet; der Ort bemüht sich, die alte Kultur nicht vergessen zu lassen. In der Grundschule wird ab der 1. Klasse Deutsch unterrichtet. In der Tanzgruppe Schadirattam engagieren sich ungewöhnlich viele junge Männer und Frauen, und gerade übt der karpatendeutsche Künstler Helmut Bistika mit Schülern der Sekundarschule ein Theaterstück ein; es geht dabei um die Besiedlung der Region durch den ungarischen König; Slowakisch wechselt sich ab mit Mantakisch, dann wieder wird Romani gesprochen.
Mantakisch ist dabei dem Deutschen zumindest nicht ganz unähnlich, der Legende nach entstand die Mundart durch den ohrenbetäubenden Lärm, mit dem die alten Hämmerwerke die Region hier damals lähmten - und durch den die Alten - der Sage nach - dabei fast ihr komplettes Gehör verloren hatten. "Boos maant a?“, hätten sie gefragt, also: „Was sagt er?" Aus W wurde B. Aus B wird P. Und so weiter und so weiter. Ehrlicherweise aber ist es ausgesprochen schwer, einem Gespräch der Alteingesessenen zu folgen, bei aller Nähe klingen die Worte doch ziemlich fremd.
Wie Museumsleiter Böhm oder Künstler Helmut Bistika gehört auch Bürgermeister Matej Smorada der deutschen Minderheit an. Er war 29 Jahre alt, als die Metzenseifener ihn zum ersten Mann des Ortes wählten, Smorada war damit der jüngste Bürgermeister in der Slowakei, und im Amt ist er noch immer.
Fragt man ihn nun nach dem Verhältnis der deutschen Minderheit zum Rest der Gemeinde, dann sagt er: "Wenn mich jemand auf Mantakisch begrüßt, dann grüße ich auf Mantakisch zurück und wir sprechen ein paar Worte. Aber wenn jemand auf Slowakisch grüßt, dann grüße ich auf Slowakisch zurück."
Lustig sei, dass es für bestimmte Dinge kein Wort auf Mantakisch gebe; die Mundart ist zu alt für die Moderne. "Und so mischen wir", sagt der Bürgermeister - und nennt als Beispiel das schöne deutsche Wort: Flächennutzungsplan.
Seinen Posten als Bürgermeister trat Smorada im Jahr 2018 als Parteiloser an, inzwischen ist er Mitglied der neugegründeten Partei "Hlas" (die Stimme). Als die größten Herausforderungen für die Gemeinde nennt er infrastrukturelle Probleme - und das "problematische Zusammenleben" mit den Roma.
Das Verhältnis der Roma und Slowaken gilt allgemein als schwierig, und in Metzenseifen - mit einer der größten Romasiedlungen der Republik - kann man sich gut ein Bild davon machen. Arm unterscheidet sich dabei von Elend; während im oberen Teil der Siedlung die Menschen im Schmutz und zum Teil ohne Wasser und Strom leben, sind die Verhältnisse ein paar Meter weiter zumindest etwas besser. Die Schuld an der Situation sieht Bürgermeister Smorada nicht bei der Verwaltung; er spricht von einem "anderen Wertesystem" der Roma. "Da werden Häuser auf Grundstücken gebaut, die ihnen nicht gehören und sie bauen ohne Baugenehmigung." Nur: "Wenn sie sich in unsere Gesellschaft integrieren wollen, müssen sie auch unser Wertesystem anerkennen."
Künstler Helmut Bistika sieht es ähnlich und er sagt, dass das Problem nur mit Bildung und Arbeit zu lösen sei. Mit seinen Projekten versuche er, zumindest einen kleinen Beitrag zum besseren Miteinander zu schaffen.
Ein paar Kilometer weiter in Obermetzenseifen sitzen vier junge Frauen im Vorgarten der kleinen Pension Sokol; einem traumhaften Flecken zwischen Apfelblüten und Magnolien, und sie werden getrieben von ganz anderen Problemen. Die Vier sind vor vier Wochen aus der Ukraine nach Metzenseifen geflüchtet; unabhängig voneinander und doch alle aus Kiew stammend.
Pensions-Betreiberin Jana Černová hatte sich nach Ausbruch des Krieges zusammen mit ihrem holländischen Mann Harry bei den Behörden gemeldet und ihre Unterkunft zur freien Verfügung angeboten. Die ersten Tage sei es schwierig gewesen, erzählt Chefin Jana - und sie erinnert sie sich, wie sie versucht habe, der fünfjährigen Tochter einer der Frauen beim Ablegen des Rucksacks behilflich zu sein. "Sie hat geweint und geschrien, es war furchtbar." Inzwischen hat sich die Gruppe eingelebt; abends sitzen die Frauen auf eine Zigarette zusammen, tagsüber arbeiten sie online; die eine erstellt Kartenmaterial für ein Unternehmen in der Ukraine, die andere arbeitet als Psychologin - und ganz langsam kehrt sogar hier - 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt - so etwas wie ein Stück Normalität zurück.
Bürgermeister Matej Smorada sagt: "Niemand hat hier Angst. Und sollte die Slowakei wie die Ukraine angegriffen werden, werden wir tapfer in den Krieg gehen."
"Niemand hat hier Angst. Sollte die Skowakei angegriffen werden, werden wir tapfer wie die Ukrainer in den Krieg gehen."
Matej Smorada war gerade einmal 28 Jahre alt, als ihn die Bürger von Medzev/Metzenseifen zu ihrem Bürgermeister wählten. Der Ort im slowakischen Bodva-Tal liegt im Vierländereck Ungarn, Polen, der Ukraine und nahe Košice. Die Geschichte der Deutschen in der Slowakei begann dabei vor beinahe 800 Jahren; damals holte der ungarische König Bela IV die deutschsprachigen Siedler, um das Land urbar zu machen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde ein Großteil der Karpatendeutschen vertrieben und verschleppt. Heute zählen die Deutschstämmigen in der Region zur Minderheit.
Peter Böhm arbeitete früher als Werkzeugmacher; heute leitet er mit viel Hingabe das technische Museum in Medzev. Zu sehen gibt es dort eine beeindruckende Kameraauswahl, der ehemalige Präsident der Slowakei, Rudolf Schuster, hat sie zur Verfügung gestellt, darunter auch eine Kamera der Filmpioniere Auguste und Louis Lumière. Kontakt: muzeum.medzev(at)stm-ke.sk
Helmut Bistika ist ein karpatendeutscher Künstler aus Medzev; er gilt als einer der wichtigsten der Region. Bistika arbeitet experimentell; er lässt sich nicht auf einen bestimmten Stil festlegen. Die große Spannkraft seines Werkes ist das Material und die Methode selbst. Zusammen mit seiner Frau betreibt Bistika in Medzev außerdem das Galerie-Café.