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Vorbei und vergessen

Noch im vergangenen Jahr war Krahule das letzte deutsche Dorf in der Slowakei. Bei der letzten Volkszählung aber verlor die Gemeinde ihren Sonderstatus - und damit einen Teil ihrer Geschichte. 

270 Einwohner, 20 Bären, null Probleme - in Krahule, deutsch Blaufuss, scheint die Welt in Ordnung. Auf der Straße fahren Jugendliche mit ihren Rädern aus Freude am Sport gegen die Berge an, ein paar Ältere treffen sich zum Plausch auf einer Bank hinter der Kneipe und ordern Bier, im Büro des Bürgermeisters serviert eine Mitarbeiterin Kaffee.

Seit 1992 leitet Miroslav Schwarz (parteilos) die Geschicke der Gemeinde, er scheint seine Arbeit gut zu machen. Während anderen Dörfern die Jugend wegläuft, ziehen zunehmend junge Familien nach Krahule, die Arbeitslosenquote liegt im Schnitt bei sieben Prozent und damit im guten Mittel, es gibt so gut wie keine Kriminalität; vielleicht klaut im Dorfkonsum mal jemand eine Schokolade, das aber war es dann auch schon.

Und doch; bei aller Balance ist der Ort dabei, sich selbst zu verlieren - und Bürgermeister Schwarz ist dafür selbst eine gutes Beispiel.

Bis zum vergangenen Jahr nannte sich Krahule das letzte deutsche Dorf in der Slowakei. Bei der vergangenen Volkszählung aber aber verlor die Gemeinde ihren Sonderstatus, nur noch weniger als 20 Prozent bekannten sich zur deutschen Minderheit, aus Deutsch-Blaufuss wurde das slowakische Krahule. 

Schwarz selbst hat deutsche Wurzeln. Er ist 66 Jahre alt, er ist hier in den Kremnitzer Bergen aufgewachsen, bis zu seiner Einschulung sprach der ausschließlich Mundart; Plusbeß - Blaufüssisch, wie es hier heißt. Inzwischen aber hat er den Dialekt so gut wie vergessen, und fragt man ihn nun, welche Rolle die deutsche Kultur in der Gemeinde noch spielt, sagt er: „Sehr wenig.“

Früher gab es in Krahule eine Feuerwehr, einen Chor, es wurde Musik gemacht, die Blaskapelle spielte - alles Geschichte.  „Es wurde gefeiert, auch wenn es schwere Zeiten waren", sagt Schwarz.

Von den verbliebenen Deutschen sind die meisten inzwischen verstorben, nur noch eine Handvoll Frauen kennt sich aus mit den Traditionen, aber die sind inzwischen auch weit über 80. "Die, die heute hier geboren werden, zählen sich nicht mehr zur deutschen Minderheit - und sie interessieren sich auch nicht dafür", sagt Bürgermeister Schwarz. Er nimmt einen Schluck aus seinem Kaffee und als sein Handy klingelt, wirkt er einigermaßen erleichtert über die Unterbrechung.

Ein bis zwei Mal im Jahr verirren sich Journalisten aus Deutschland in sein Büro und ein aufs andere Mal muss Schwarz dann erklären, was an Krahule noch Blaufüssisch ist. Aber was soll er erzählen, wenn die Geschichte selbst zur Geschichte geworden ist, wenn inzwischen selbst das Ortseingangsschild mit dem Schriftzug Blaufuß fehlt, weil es jemand geklaut hat  - und damit so etwas wie das letzte Stück schriftlicher Identität. 

Im vergangenen Jahr feierte Krahule 690 Jahrfeier. Und fast war es dabei wie früher. Die Kinder trugen Trachten und sangen Lieder, der Karpatendeutsche Verein schickte Grußworte und Vertreter - und auf denen fürs Ereignis produzierten Tragetaschen standen in trauter Eintracht die Namenszüge Krahule / Blaufuss. Dass ausgerechnet im selben Jahr der Ort seinen Status als letztes slowakisch-deutsche Gemeinde verlor, ist die Ironie der Geschichte. Bürgermeister Schwarz trägt es mit Fassung. Ihn bewegen längst andere Dinge, etwa die Bärenpopulation. Seit die Tiere unter Schutz gestellt wurden, vermehren sie sich ungehindert, sie kommen immer dichter ins Dorf, zugleich rückt der Mensch immer weiter vor in die Natur - jeder kann sich ausrechnen, was das bedeutet. Bürgermeister Schwarz legt sein Handy auf den Tisch, wischt eine Weile darauf herum - und zeigt Fotos und Videos von Bären; kleine, große, mal queren sie die Straße, mal schauen sie aus dem Wald, immer aber sind sehr nah.

Zur nächsten Wahl wird sich Miroslav Schwarz nicht mehr aufstellen. Er hat getan, was er konnte; dass die Preise für Gas und Strom aktuell in die Höhe schnellen, das ist nicht seine Schuld. Was er sich wünscht für die Zukunft? Miroslav Schwarz zuckt die Schultern und das kann jetzt alles und auch dieses bedeuten: Dinge ändern sich, nichts bleibt wie es war - Blaufuss, Krahule, was macht das schon?!