Die Slowakei entlässt mit einem warmen Gefühl. Berauscht von der Vielfältigkeit der Natur und der Herzlichkeit der Menschen wurde ich zuletzt durchs Land getragen - und jetzt am Ende ist ein großes Bedauern. All das hinter sich zu lassen, all die schönen Bilder, die schönen Erfahrungen. Und zugleich ist da jede Menge Dankbarkeit. Für den Lauf der Dinge, die sich erst im Nachhinein als richtig erwiesen, Dinge, mit denen ich anfangs noch gehadert hatte. Den Plan etwa aufgeben zu müssen, mit einem Wohnmobil zu verreisen. Wer sich in diesen Tagen jedoch mit dem Campermarkt beschäftigt, wird verstehen, was ich meine. Und man kann sich schon mal fragen, was diejenigen reitet, für ein verranztes Mobil, in das sie eine Holzpalette zimmern, 30 000 Euro zu verlangen. Aber gut, der Preis bestimmt die Nachfrage, und es hat ja auch sein Gutes.
In meinem Fall den alten Volvo; das ist zwar nicht Camping mit Bus, dafür aber gibt es ein Zelt an Bord - und für alle anderen Situationen das beim Autokauf gesparte Geld als Budget zum Übernachten. Und eben genau diese Entscheidung erweist sich zumindest aktuell als Glück. Statt einsam in einem Camper seinen Gedanken nachzugehen, begegnen mir mit dem Einmieten in eine Pension persönliche Geschichten. Harry, der Holländer etwa, der mir erklärt, warum es ihn in die Slowakei verschlagen hat. Einerseits wegen der Liebe, andererseits aber auch, weil die Steuern hier so niedrig sind.
Oder der fleißige Pensionsbesitzer aus Drevenica im Westen der Slowakei in der berauschend schönen Muranska Planina. Jeden September fährt er zur Apfelernte nach Deutschland. Im vergangenen Winter hatte er sich - "da hatte ich die Zeit" - selbst sein Holzhaus im alten Stil mit hohen Schwellen erbaut, - mit Glück kann er bald einziehen. Oder Holländer Nummer Zwei. Vor einem Jahr ließ er sein Leben in den Niederlanden frustriert hinter sich, weil: zu hektisch, zu eng, zu kleinbürgerlich - sagt er.
Und während mir die Slowakei anfangs noch sehr fremd erschien, ist mir das Land in den wenigen Tagen tatsächlich ans Herz gewachsen. Von den Gesprächen und Begegnungen sind mir vor allem zwei im Gedächtnis geblieben: Wie der Bürgermeister von Medzev / Metzenseifen zunächst um Worte ringt, angesprochen auf den nur wenige Kilometer entfernten Krieg und dann mit einer Art Trotz verkündet: "Sollten wir wie die Ukraine angegriffen werden, werden wir tapfer in den Krieg gehen." Er selbst übrigens ist mit einer Ukrainerin liiert. Oder Künstler Helmut Bistika, der sich laut fragt: "Wo soll das alles hinführen? Dass die Leute einfach nichts aus der Geschichte kapieren, nichts lernen - und immer imstande sind, alles zu zerstören..."
Es tut gut, seine Angst geteilt zu wissen. Und so lasse ich die Slowakei mit dem beruhigenden Gefühl hinter mir, dass sich auch hier alle nichts sehnlicher als Frieden wünschen. Reisen verbindet.
Wer die Slowakei besucht, stößt immer wieder auf die Spuren der Deutschen. In Kirchen, auf Friedhöfen, in Bratislava, im Hauerland. Und mit jedem weiteren Meter der Reise ändert sich der Blick auf die Geschichte. Was weiß man schon als jemand aus der Zeit Gefallener? Über den Schmerz, den Verlust, das Leiden? Menschen wurden vertrieben, Frauen vergewaltigt, Familien auseinander gerissen, Grenzen für bedeutungslos erklärt - und der Wahnsinn wiederholt sich immer und immer wieder. In der DDR wurde - wenn überhaupt - verschämt über das Thema gesprochen, in der alten Bundesrepublik war es kaum anders; den Bund der Vertriebenen empfand man, verstört von Tonfall und Auftreten, als Clique der ewig Gestrigen, und ganz sicher wurden dort auch Fehler begangen. Aber das Thema einfach ausklammern, totschweigen? Aus Scham? Weil es nicht in die Politik oder in die eigene Auffassung passt?
Stephan, der König von Ungarn (1000 bis 1038), hatte einst die Deutschsprachigen als Fachkräfte auf das Gebiet der heutigen Slowakei (und Teilen der heutigen Ukraine) gerufen; als Karpatendeutsche werden sie bezeichnet; sie bauten Kirchen, Häuser, sie machten das Land urbar. 1945/46 wurden dann 90 Prozent der Deutschen vertrieben, viele ermordet. Für Taten wie das Massaker von Glaserhau (slowakisch Sklené), als betrunkene Partisanen im September 1944 insgesamt 187 unschuldige männliche deutschsprachige Einwohner des Ortes erschossen, gab es bis in die heutige Zeit kaum einen Nachruf.
Krieg kennt viele Opfer - die Bilder aus der Ukraine zeigen es täglich.