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Schuld und Sühne

Wer weiß denn schon, dass ausgerechnet in der Batschka rund um Apatin in Serbien das Kernland des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus saß? Boris Mašić kümmert sich um das Erbe dort; er sagt, er kann nicht anders. "Ohne mich würde das alles verloren gehen."

Er war noch ein Student, als serbische Paramilitärs die schönste deutsche Barockkirche in der Gegend aus Lust und Langeweile zerstörten. Zuerst plünderten sie alle wertvollen Gemälde aus dem Inneren des Hauses, dann warfen sie Granaten, über Tage standen die Flammen meterhoch; niemand griff ein. Die Kirchengemeinde nicht, die Leute aus dem Dorf nicht, auch die Feuerwehr rückte nicht an; alle sahen tatenlos zu; das Haus war sich und den Flammen selbst überlassen. 

Wenn Boris Mašić von diesen Tagen im Jahr 1991 erzählt, spürt man, dass mit dem Anschlag auch Teile in ihm zerbrachen. Es war, als hätte irgendwas in ihm einen Schalter umgelegt. Jetzt sitzt er in der Bibliothek des Donauschwäbischen Museums im serbischen Apatin; draussen bringt die Hitze den Körper bei jedem Schritt ins Schwitzen, das Land, trocken und flach wie ein Teller hier der Pannonischen Tiefebene, liegt erschöpft unter der Sonne, und dass er hier jedes einzelne der 40 000 Bücher kennt, ist kein Zufall; der Kirchenbrand hängt damit unmittelbar zusammen. 

Boris Mašić ist heute 55 Jahre alt; er ist verheiratet, hat zwei Kinder, sein Geld verdient er mit den administrativen Dingen bei der Organisation eines Passagierschiffs; der Eigner bietet touristische Routen auf der Donau an. Wenn er spricht, legt sich ein besondererer Mix aus baden-württembergischen Dialekt und serbischen Akzent über seine Worte; er ist mit Deutsch aufgewachsen, seine Kinder haben es gelernt; er sagt, er fühle sich als Donauschwabe, er fühle sich der Vergangenheit verpflichtet. 

Vor dem Zweiten Weltkrieg existierten in der gesamten Vojvodina 100 deutsche Orte, und das, was danach nicht Titos Rachefeldzug als Vergeltung für die Verbrechen der Nationalsozialisten zum Opfer fiel, zerstörten Milosevics Anhänger in den 1990er Jahren. Wie Treibgut am Donaustrand finden sich heute in der Batschka, im Banat und Syrmien nur noch vereinzelt Hinweise. Der Boden in der Gegend ist getränkt von Blut; Blut von den vielen tausenden Opfern des Nationalsozialismus und vom Blut der verfolgten Deutschen. Auch in der Gegend um Apatin finden sich viele Massengräber. In Gakova etwa; einem kleinem ehemaligen deutschen Dorf; nur ein paar Autominuten entfernt. Damals zog man einen Zaun um die Häuser, trieb die Menschen hinein, kesselte sie ein und überließ sie ihrem Schicksal; so wie etwa Josef Greif, der mit 55 Jahren dort qualvoll verhungerte; seine Frau fuhr seine Leiche mit der Schubkarre zum Massengrab. Sein Enkel hat ihm auf dem Friedhof zur Erinnerung ein Foto und ein paar Zeilen hinterlassen. 

Auch die Großmutter von Boris Mašić hatten die Partisanen mit 22 Jahren zur Witwe gemacht; mit vielen anderen aus Apatin trieben sie ihren Mann im Dezember 1944 zusammen; die Leichen wurden in einem Massengrab in Sombor verscharrt; die Stadt baute später darauf eine Busstation, wohl wissend um die Opfer unter dem Betonsockel, den sie darauf errichteten.  

Anders als die Verbrechen des Nationalsozialismus blieben Taten wie diese über 70 Jahre Tabuthema; und es passte auch nicht ins Konzept, dass ausgerechnet in der Batschka rund um Apatin das Kernland des katholischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus saß. Ein Sprachrohr des auslandsdeutschen Widerstandes war dabei Pfarrer Adam Berenz, der bereits in den frühen 1930ern die Wochenzeitung "Die Donau" gründete, mit dem Versuch, vor der drohenden politischen Katastrophe  zu warnen. Berenz wurde 1944 ins Gestapo-Gefängnis nach Sombor überführt, kam jedoch wieder auf freien Fuß; er starb 1968 in Ungarn, nach Apatin kehrte er nie mehr zurück. 

Mit Boris Mašić nun schließt sich quasi der Kreis. Er war damals zur Kirche ins wenige Kilometer entfernte Prigrevica gefahren und hatte versucht zu retten, was noch zu retten ist. Und seither ist er nun in einer Art Mission unterwegs. Mit eigener Kraft und aus weitgehend eigenen Mitteln restaurierte er das Pfarrhaus, in dem die Redaktion "Der Donau" saß, er hat darin die Bibliothek aufgebaut. Und auch wenn Mašić weiß, dass in der Vojvodina von der donauschwäbischen Kultur am Ende nicht viel mehr bleiben wird als die Buchstaben in den Büchern, weil die letzten Zeitzeugen gestorben sind, weil nachfolgende Generationen sich nicht mehr dafür interessieren, macht er immer weiter, er sagt, er kann nicht anders. „Ohne mich würde das alles verloren gehen."

Von der Kirche steht bis heute nur die Fassade. So, wie sich niemand für ihre Zerstörung interessierte, interessiert sich niemand für ihren Wiederaufbau. Von der Zeit Vergessen. 

 

 

 

 

Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Apatin ein Militärhafen; drumherum baute sich langsam das zivile Leben auf. 1748 wurde die Stadt von Donauschwaben gegründet, die mit den Ulmer Schachteln über die Donau kamen. Zuerst siedelten nur deutsche Katholiken an, später zogen dann alle Bevölkerungsgruppen aus der Österreichischen Monarchie nach. 

Insgesamt lebten vor dem 2. Weltkrieg etwa 540 000 Deutsche auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Selbst zum Zeitpunkt der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1944 befanden sich dort noch immer 195 000 Deutsche.

Eine Zwangsumsiedlung nach Deutschland
 war für die Deutschen in Jugoslawien nicht vorgesehen. Sie wurden nach dem Entzug der Bürgerrechte und des Eigentums systematisch interniert. Nach Angaben des Zentrums gegen Vertreibung mit Sitz in Wiesbaden befand sich im Sommer 1945 die gesamte jugoslawiendeutsche Bevölkerung in Lagern. 

In Serbien und auch in vielen anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens gibt es viele Partisanen-Denkmäler. Aber es gibt kaum Tafeln oder Hinweise darauf, das bestimmte Regionen oder Dörfer ehemals von Deutschen besiedelt wurden. In Apatin versucht Boris Mašić vom Vererein Adam Berenz mit Unterstützung der Stadt, sich um die Geschichte der Donauschwaben zu kümmern. In den ehemaligen Lagern Gakova, Kruschewlje, Jarek, Rudolfsgnad - Knicanin erinnern heute dank seiner Hilfe Kreuze an die Opfer der Internierung.