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Einwurf

Kurzes Update für die, die weder Facebook noch Instagram nutzen; dort sind in den letzten Tagen kurze Zwischenstände erschienen. Der Rest folgt später; das Land ist groß, die Reise weit, das Internet wenigstens in den Hotels ausgesprochen zäh.

Russland, Tag 2.: Und wenn man beim Frühstück im Hotel noch dachte, okay, jetzt wird der Gürtel enger geschnallt wegen der Sanktionen - eine Scheibe Brot, eine Scheibe Käse, 1 Ei - alles bereits abgezählt und auf dem Teller zugewiesen (kein Kaffee, kein Nachschlag) - stellt sich später heraus, man hat es wohl nur mit einem sehr knausrigen Hotelmanagement zu tun. Im Café später zum Interview eine Einladung zu Syrniki, den traditionellen russischen Quarkpfannkuchen - ordentlich fettig, mit viel Zucker und Sahne.

Das Leben in Wladikawkas ansonsten im üblichen Großstadtmodus. Menschen in Restaurants, an Handys, beim Flanieren auf dem Проспект Мира (Friedensallee); Burger King und KFC gehen ihren Geschäften nach, Boss und Nike in den Schaufenstern, eine Drogerie ist eine Drogerie, ein Supermarkt ein Supermarkt, ein Sonntag im September 2022. Man weiß auch nicht so recht, was man erwartet hat.

"Only russian passport. sorry" - Es ist bereits die zweite Absage bei dem Versuch, ein Zimmer zu buchen. So langsam macht sich Unruhe breit. Eine russische Kollegin antwortet auf die Frage, ob es allgemein ein Problem sei: "Kann sein." Ihr Mann sagt: "Kann nicht sein." Ein anderer Kollege meint: "Das erlebt man eigentlich kaum mal." Das nächste Hotel bittet um Verständnis. "Wir nehmen russische Bürger und Bürger anderer Länder mit Aufenthaltsgenemigung." Ich besitze ein Visum (vier Wochen) - und eine Migration Card, ausgehändigt an der Grenze. Eigentlich hätte es damit funktionieren müssen. Seltsame Erfahrung. Zurück bleibt Unsicherheit.

Und: Das vermeintlich geblockte Internet am Morgen ist kein vermeintlich geblocktes Internet. Es ist: gar kein Internet. Die gekaufte Simkarte hätte aufgeladen werden müssen, aber das sagt einem ja niemand. Stattdessen abenteuerliche Überlegungen. Man weiß ja auch nicht, was man noch denken soll in Zeiten wie diesen. Es gibt so viele Wahrheiten, wie findet man dazwischen die richtige?

Was man spürt: Große Freundlichkeit und offene Freude über den Gast aus Deutschland. Und das Bemühen, helfen zu wollen. Die Frau an der Tankstelle. Der Mann an der Tankstelle, der einem ungefragt zum Bezahlen seine Bonuskarte auf den Tisch legt. Der Polizist (oder Soldat?) bei der Verkehrskontrolle. Man ist eine kleine Attraktion. Ausländische Touristen sind zumindest hier auf der Ecke Russlands aktuell kaum zu finden, nahezu ausschließlich russische Kennzeichen (ich bin inzwischen in Pjatigorsk angekommen). Und was man auch spürt: die leichte Zurückhaltung bei allen Fragen zur politischen Situation. Und vielleicht eine Art Verständnis (?) für das russischen Vorgehen in der Ukraine, wenigstens bei denen bisher getroffenen Menschen. Student Vladimir sagt: "Es ist wie es ist." Robert aus Wladikawkas sagt: "Es ist eine Trägödie. Dort - und hier." Aber gut: Es sind flüchtige Bekanntschaften. Wer diskutiert sein Innenleben schon auf der Straße - mit einem Journalisten? Aus Deutschland? Ansonsten ist von der großen Weltpolitik wenigstens im für mich wahrnehmenbarem Alltag nichts zu sehen, nichts zu spüren. McDonalds sieht aus wie McDonalds - nur ohne M. Der Laden heißt es jetzt: "Lecker und Punkt" - der Rest ist identisch. Und zur Frage, ja, ich habe ein Zimmer gefunden. Hatte panisch irgendetwas gebucht. Und irgendetwas war es dann auch. Nicht schön. Aber mit Bett. Immerhin.

Teilmobilmachung. Und Stichwort Massenpanik und explodierende Flugpreise. Anruf bei einer russischen Bekannten (zwei Kinder, verheiratet) in Pyatigorsk nach einer besorgten Nachfrage aus Deutschland. Die reagiert gelassen, spricht von ausschließlich Reservisten mit militärischen Erfahrungen, die es betreffe - und wünscht einen schönen Abend. Anruf bei einem Kollegen in Kaliningrad. Müsse man sich Grund zur Sorge machen? Er sagt, du dir nicht, aber bestimmt die Männer, die Familien, die es betrifft. Blick ins Internet und ein Preisvergleich für einen Flug von Moskau in die Türkei, Stand gestern Abend, 23 Uhr. Preis: zwischen 400 und 800 Euro. Google Flüge schreibt und zeigt die Statistik: "Die Preise für Ihre Reise sind aktuell normal". Der Kollege (oben) erzählt, wie er für seinen letzten Flug für eben diese Strecke im bereits überhitzten Markt Anfang Sommer 600 Euro bezahlen sollte, seitdem nutzt er Bus und Bahn und nimmt eine andere Route. Man selbst war gestern sechs Stunden im Land mit dem Auto Richtung Norden unterwegs. Viel Einsamkeit. Viel Weite. Keine weiteren Auffälligkeiten. Außer: Bei der Ausfahrt aus Pyatigorsk Militär im Gegenverkehr; fünf Kamaz’ und ein Panzer. Was das alles bedeutet? Vielleicht alles, vielleicht nichts. Aber auch: Eine Meldung ist noch nicht die ganze Geschichte.



Elista - Tag fünf. Zwischenstopp auf dem Weg Richtung Wolga - und eine Zufallsbekanntschaft. Wladimir Sanjiew. Der 64-Jährige leitet in der Hauptstadt der russischen Teilrepublik das kleine Museum am Monument "End and Return“, das an die Vertreibung der Kalmücken erinnert. Die Kalmücken waren ursprünglich ein Nomadenvolk, sie stammen von den Mongolen ab. Seit dem 17. Jahrhundert leben sie im Steppengebiet zwischen Kaukasus und Kaspischem Meer. 1943 wurden alle Kalmücken wegen Kollaboration mit den Deutschen nach Sibirien deportiert, darunter auch die Familie von Wladimir Sanjiew. Omsk, Tomsk, Ural - ihre Odyssee endete erst 1956 ein paar Jahre nach dem Tod Stalins, als die Menschen wieder in ihre Heimat zurückkehren durften. Wladimir hat mehrere Büchlein geschrieben, eines handelt von der Vertreibung. Er sagt: „Es soll die Geschichte nicht vergessen machen.“ Kalmückien ist heute das einzige mehrheitlich von Buddhisten bewohnte Land Europas, also Tempel und Gebetsfahnen statt Zwiebeltürme.
 

Eine Bekannte erzählt von ihrem Enkel, der gerade im Bus nach Kasachstan sitzt. Er ist 34 Jahre alt. Sie macht sich Sorgen. Um ihn, weil unklar ist, welche Konsequenzen es hat und ob es welche hat. Der jüngere Bruder studiert. Er ist 26 Jahre alt. Die Behörden hatten sich bei ihm telefonisch gemeldet. Sein Studium legt sich nun wie ein schützender Mantel um seine Schultern. Vor 80 Jahren kämpfte die Rote Armee um Stalingrad. So viel Zerstörung, Tod und Leid. Es ist noch gar nicht so lange her. Unvergessen?

Ankunft an der Wolga.