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Vom Lieben und Hassen

"Wir sind nicht in Somalia", sagt Tania auf die Frage, ob man hier denn allein wandern könne. "Warum denn nicht", fragt sie überrascht zurück. Und man erzählt ihr von all den Bedenken, die man aus dem Internet und aus Deutschland über Rumänien so hört, sie lacht, und gerade, als man sich also zunehmend entspannt, zerschlägt eine Nachricht von Roxana von der Touristeninformationen in Caransebeș gleich wieder allen Mut.  "No, don't go alone", warnt sie via WhatsApp - die Verwirrung ist also perfekt; was denn nun?

In den nächsten Stunden organisiert Roxana einen Guide für eine Tour durch den Cheile Nerei-Beușnița Nationalpark; als ihm und mir auf der Tour dann aber eine Frau in langem Rock, Ballerinas an den Füßen und einem Fächer an der Hand entgegenkommt, ist das der reine Hohn. Entweder machen die einen einem was vor - oder die anderen spinnen. In Rumänien zu wandern ist also ein Abenteuer, wenigsten die Vorbereitung darauf. Denn während es in nahezu allen bisher bereisten Ländern (bis auf Ungarn) ein weites Netz an Touristeninformationen gab, ist hier daran nicht zu denken. 

Zwar verweisen immer wieder Schilder zum großen I (I für Touristeninformation), in der Realität aber sind die Häuschen oder Büros allesamt verwaist; telefonisch ist niemand zu erreichen, niemand antwortet per Mail - und auch Roxana meldet sich erst, als man die Anfrage von ein paar Tagen zuvor schon längst wieder vergessen hat. Später erklärt sich auch der Grund für die etwas befremdliche Situation. Zwar existierte jüngst noch ein "Masterplan" für Tourismus, die Bemühungen aber versandeten wie so vieles hier; Corona schließlich gab allem den Rest. Stellen wurden massiv gestrichen, neues Personal darf nicht eingestellt werden - und so bleibt der Tourist sich mit seinen Vorurteilen selbst überlassen. 

Der eigene Start begann in Rumänien mit einem Kulturschock; so arm hatte man es sich dann doch nicht vorgestellt. Zerfallene Häuser, kaputte Straßen - nicht ausschließlich, aber doch immer wieder. Und mit jedem weiteren Kilometer wächst und wuchs der Ärger über den Westen, der Rumänien zwar zum Mitglied der EU erklärt (über die Gründe darf man spekulieren: Puffer zu Russland; freier Zugang zur Donau von der Quelle bis zum Schwarzen Meer), das Land ansonsten aber scheinbar vergisst.

„Wer mit den Schweinen frisst, macht sich schmutzig“, zitiert Jürgen aus Resita ein rumänisches Sprichwort, mit dem er versucht, die Lage in seinem Land zu erklären. Zwar hätten zuletzt große Hoffnungen auf dem Siebenbürgensachsen Klaus Johannis gelegen, am Ende aber sei nach seiner Wahl zum Präsidenten alles beim Alten geblieben; Korruption und Amtsmissbrauch prägen bis heute den Alltag. Und auch wenn Rumänien mit Erdöl, Erdgas, Steinkohle, Aluminium und Zink über eine große Reihe an Bodenschätzen verfügt; verdienen daran tun aber immer nur die einen, die Mindestrente dagegen liegt bei 130 Euro, ein Familienvater erhält im Dreischichtsystem 350 Euro, was erklärt, warum hier viele Menschen so leben wie sie leben und warum andererseits große SUVs das Straßenbild prägen.

Man selbst hat sich nach ein paar Tagen an den zum Teil etwas trostlosen Anblick gewöhnt; und es stimmt, wenn Bettina aus Anina sagt: entweder man liebt es oder man hasst es. Sie selbst ist mit ihrem Mann vor knapp drei Jahren aus Bayern hierher gezogen; man groovt sich ein, der Blick verschiebt sich; hinter dem Kaputten tritt so etwas wie Vertrautheit - selbst die Angst vor den streunenden Hunden verliert sich, die meisten selbst nur bedauernswerte Kreaturen, auf der Suche nach etwas Wärme und einem Zuhause.

Und wenn Christian aus Resita davon erzählt, wie er mit seiner Familie im vergangenen Jahr zum ersten Mal trotz aller Bedenken an der bulgarischen Schwarzmeerküste Urlaub machte und schließlich feststellen musste, dass nichts gestohlen, nichts am Auto kaputt gemacht wurde, sagt das viel über die Vorurteile und Ressentiments der Menschen allem Fremden gegenüber.

Ist Rumänien also ein sicheres Reiseland? Christian sagt: "Ja." Und außerdem: Ist ja nicht Somalia.