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Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Und am Ende liegt die Antwort wie immer irgendwo dazwischen, und der Auftakt in Rumänien hätte auch ein anderer sein können. In Hermannstadt - Sibiu - etwa und damit inmitten einer ganz anderen Welt. In der Cafés die Altstadt säumen, in der Touristen flanieren, in der Vitalität pulsiert. Aber man kann sich seine Wege nicht immer aussuchen; und so verbringt man die ersten Tage im Banater Bergland hinter der serbischen Grenze; landschaftlich zwar verwöhnt mit gleich zwei Nationalparks - zugleich aber ist die Region geprägt von einer Historie, die bestimmt war vom Bergbau.

Verwaltungssitz ist Resita - deutsch Reschitz -, die ersten Hochöfen waren hier 1771 entzündet worden, vergangenes Jahr beging man 250 Jahre Industriegeschichte. Und auch wenn die Einheimischen mit Stolz darauf verweisen, liegt eine gewisse Wehmut über der Stadt, wie man sie überall dort findet, wo Krisen und Umschwünge die Wirtschaft in Trümmern legten. Stillen Riesen gleich ragen die Hochöfen über die Stadt, und wenn etwas auffällt, dann, dass kein Wummern mehr aus ihren Herzen dringt, sie haben die Produktion längst weitgehend eingestellt.

Früher arbeiteten 16 000 Menschen in den Hüttenwerken und 21 000 im Maschinenbaubetrieb, heute beschäftigen beide Branchen zusammen noch etwa 1000 Angestellte; Resita selbst ist von ehemals 121 000 Einwohner auf etwas über 70 000 geschrumpft. Auch Erwin Tigla  hatte einst in den Werken gearbeitet, seit 1995 aber leitet er nun die Deutsche Bibliothek, und wenn einer etwas über die Geschichte erzählen kann, dann ist es er; er zeigt auf die Bilder an der Wand, er holt Bücher hervor, erzählt von der Zeit, als man die ersten Siedler hier ins Bergland holte, Forstarbeiter, Grubenarbeiter, sie kamen aus dem gesamten alpenländischen Gebiet, aus Südbayern, aus Böhmen, aus der Zips, dem heutigen Gebiet der Slowakei. In der Ebene siedelten sich dagegen Landwirte aus Elsass-Lothringen aus, man nennt sie die Banater Schwaben, und sie brachten ihre Dialekte mit; Schwäbisch bestimmte das Flachland, Österreichisch die Berge. Es waren gute Zeiten, es waren erfolgreiche Zeiten; der Boden war das Gold.

Und wer weiß schon, dass der Stahl des Eiffelturms aus Resita stammt und dass die erste Dampflokomotive für Osteuropa Mitte des 19. Jahrhunderts hier gebaut worden ist. Als Vorlage holte man sich ein Modell aus Wien, zog es die Donau hoch, von dort ging es weiter mit 24 Ochsen über die Berge bis nach Resita; eine Eisenbahnlinie gab es damals noch nicht. Erwin Tigla zeigt aus dem Fenster. Dort, nur wenige Meter entfernt, kann man sie noch sehen; das Erbe der Stadt im Freilichtmuseum.

Zur Geschichte von Resita und von ganz Rumänien gehört aber auch, dass nach dem Zweiten Weltkrieg alle arbeitsfähigen Rumänendeutschen nach Russland zur Zwangsarbeit verschleppt worden sind, als Reparation für die Zerstörung der Sowjetunion, wie es hieß, und es wurden keine Ausnahmen gemacht. Ob sie sich im Krieg nun in die Reihen der Nationalsozialisten gesellt hatten oder ob sie Kommunisten gewesen waren; alle Männer im Alter von 15 bis 45 und alle Frauen von 17 bis 33 Jahren waren betroffen. Nur noch Haut und Knochen wankten sie durch die Lager, darunter auch der Großvater von Erwin Tigla, damals 35 Jahre alt. Mit Viehwaggons und in eisiger Kälte hatte man sie im Januar 1945 Richtung Osten zur Zwangsarbeit ins Bergwerk geschafft, die meisten von ihnen in den Ural und in das Donezbecken, 22 000 fanden unter den Strapazen den Tod. Und die, die überlebten, sahen sich bei ihrer Rückkehr in die Heimat ihres Hab und Gut's beraubt. 

Und wenn man eingangs nun schrieb, dass es immer mehrere Wahrheiten gibt, meint man, dass sich mit jedem neuen Gespräch ein neues Bild ergibt und mit jedem Wechsel an einem anderen Ort eine neue Perspektive. Jeder weitere Tag ändert die Wahrnehmung; revidiert, korrigiert. Nichts ist allgemeingültig, nichts ausschließlich. 

Rumänien ist grau. Rumänien ist grün. Es ist das prosperierende Sibiu, in dem es an Arbeitskräften mangelt, es ist das Banater Bergland, aus dem die Menschen wegziehen, weil es keine Arbeit gibt; es sind die mit Kacheln dekorierten Häuser, es sind die kaputten Fassaden; es ist reich, es ist arm, es ist spröde, es ist herzlich. Und mögen die Stimmen der Hochöfen von Resita auch verklungen sein, die Erfahrung sagt: es gibt ein Leben nach der Stille.