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Ein Kessel Buntes

Als man sie fragt, wann sie Deutsch gelernt hat, droht die Stimmung kurz zu kippen: „Das ist jetzt total daneben“, sagt Beatrice Unger. Sie schaut ernst, sehr ernst.

Beatrice Unger ist Chefredakteurin der "Hermannstaedter Zeitung" in Sibiu (Hermannstadt) - und wie die Geschichte des Blattes ist auch ihre eigene Geschichte eng verwoben mit den Siebenbürgen Sachsen. Ein Teil ihrer Vorfahren stammt aus Baden-Württemberg; ein Teil hatte sich bereits 1447 hier niedergelassen, sie selbst ist in Hermannstadt geboren - und wenn man von ihr jetzt wissen will, warum die Frage denn so unhöflich sei, weil man die Verletzung tatsächlich nicht versteht, sagt sie: "Weil ich Deutsche bin." Punkt.

Deutsche Geschichte im Osten, das klingt für jemanden, der im späten Nachkriegsdeutschland sozialisiert wurde, dessen Großeltern noch den 2. Weltkrieg erlebten, dessen Großvater seine Unschuld an der Front verlor, nicht gut, das klingt gar nicht gut, das klingt nach Nazis und Wehrmacht, aber es ist eben sehr viel mehr als das. Und wer sich einmal auf den Weg macht, sich interessiert, hineinhört in die Vergangenheit, wird überrascht, vor allem von der eigenen Unkenntnis; wie wenig man doch weiß, wie wenig man wusste, wie nachhaltig das Erbe ist. Und wenn auch aus gutem Grund und sehr zu recht immer wieder auf die Verbrechen der Deutschen hingewiesen wird, ist das aber nur ein Teil der Geschichte. Die Historie greift weiter, viel weiter, sie reicht zumindest für diesen Teil der Welt zurück ins 12. Jahrhundert; damals, als sich die ersten Sachsen in Siebenbürgen ansiedelten. Und sie reicht bis in die jüngere Zeit, als Folge des Krieges, als die deutsche Mehrheit zu einer Minderheit schrumpfte.

Und so kann vielleicht auch nur jemand verstehen, was Tradition und Kultur bedeutet, wenn sie keine Selbstverständlichkeit ist. Wenn Heimat viele Heimaten heißt oder gar keine. Wenn die Nähe eine seltsame Art von Fremde ist.

Beatrice Unger hatte Rumänisch an der Schule gelernt, da war sie sechs Jahre alt; es ist bis heute eine Fremdsprache, auch wenn sie sie fließend spricht.

Sie selbst leitet seit 2005 die Geschicke der "Hermannstaedter Zeitung". Die Auflage des deutschsprachigen Blattes lag zu besten Zeiten bei 9000 Abonnenten. Heute lebt die Hälfte der inzwischen 2000 Leser im Ausland; die meisten von ihnen in Deutschland; interessante Ausnahme: eine Frau im brasilianischen São Paulo nutzt die Kinderseite des Blattes dort für den Deutschunterricht. Und obwohl aktuell tatsächlich auch in Rumänien das Erlernen der deutsche Sprache an den Schulen geradezu populär ist, weil es bessere Zukunftschancen bedeutet (8000 Kinder im Kreis Hermannstadt erlernen jährlich die deutsche Sprache) und mit Klaus Johannis ein Rumäniendeutscher das Amt des Präsidenten besetzt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Gegenwart alles Gestrige endgültig in sich aufgesogen hat, bis von der deutschen Minderheit in Rumänien nur noch die Schulbücher erzählen.

Erwin Tigla, der Mann aus der deutschen Bibliothek in Resita sagt, dass das Leben ohne die Pflege des Kulturgutes ein ärmeres sei. "Das hat nichts mit Volkstümelei oder mit irgendwie rechten Neigungen zu tun", denn das würde im Gegenschluss bedeuten, dass man die eigene Kultur über die der anderen erhebt. Aber so sei es nicht. "Wir schätzen die Mehrheitsbevölkerung. Und sie schätzt uns. Und wir schätzen die anderen Minderheiten. Es ist ein Zusammenleben, es ist ein Konglomerat von Sprachen und von Kulturen, die zusammengewachsen sind."

Geschichte wiederholt sich.
Dinge ändern sich.
Hin und wieder zum Guten.

Im Auftrag der Kultur

Die "Hermannstaedter Zeitung" ist heute eine Wochenzeitung; sie erscheint immer freitags. Noch vor dem Ende des 2. Weltkrieges waren allein in Hermannstadt 30 deutsche Publikationen ansässig. Anders als die  "Allgemeine Deutsche Zeitung", die einzige noch existierende deutschsprachige Tageszeitung in Rumänien, die vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (die politische Repräsentanz der deutschen Minderheit) herausgegeben wird, finanziert sich die "Hermannstaedter Zeitung" über eine gemeinnützige Stiftung und mithilfe staatlicher Zuschüsse.

Die "Hermannstaedter Zeitung" versteht sich als lokale Zeitung, sie berichtet vor allem über kulturelle Höhepunkte in der Region. Die Zeitung erscheint - wieder - seit 1968; es gab sie schon einmal von 1816 bis 1907 unter diesem Namen, damals noch als Tageszeitung. Die Redaktion besteht heute aus vier Redakteuren, einschließlich der Chefredakteurin. Auf die Frage nach der Höhe des Gehalts wollte Beatrice Unger keine Auskunft geben, "nur so viel: Ich kann mir keine Auslandsreisen leisten."

In Rumänien gibt es außerdem zwei deutsche Theater (Temeswar und Sibiu), mehrere deutsche Radiosender und eine deutsche Sendung im öffentlichen rumänischen Fernsehen.

Als anerkannte Minderheiten sind heute im rumänischen Parlament vertreten: Ungarn, Roma, Deutsche, Armenier, Italiener, Bulgaren, Griechen, jüdische Gemeinschaften, lipowenische Russen, Kroaten, Albaner, Tataren, Ukrainer, slawische Makedonier, Serben, Ruthenen, Türken, Slowaken und Tschechen, Polen. Die Ungarn und die Roma stellen die größte Minderheit. Der Anteil der Deutschen an der Bevölkerung Rumäniens beträgt nur noch 0,2 Prozent.

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