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Aufgeben gilt nicht

Rumänien ist das Land für eine Liebe auf den zweiten Blick. Anders als das makellose Slowenien, das es einem leicht macht mit seinem sortierten Auftritt, steigt hier die Zuneigung allmählich. Man fährt sich quasi mit jedem weiteren Kilometer in sie hinein. Und wenn einen anfangs das provisorische befremdete, erkennt man mit jedem weiteren Tag dahinter das Potenzial und man stellt sich vor, wie das Land in ein paar Jahren in Schönheit aufersteht, schon jetzt bedauernd den Verlust, der damit einhergeht. 

Noch aber erinnert Rumänien an vielen Stellen und in vielen Dingen an eine vergangene Zeit, so wohltuend unperfekt, noch nicht überall die Seele verkauft, zugleich wirkt es dabei so seltsam vertraut, konserviert vom Staub der Vergangenheit, man müsste nur einmal mit einem großen Pinsel über die vielen Schätze hinwegstreichen.

Und wenn allein sieben Dörfer in Siebenbürgen zum Weltkulturerbe zählen, hat das einen Grund. Sie gelten als die schönsten Europas, darunter etwa Deutsch-Weißkirch (rumänisch Viscri), eine 400-Seelen-Gemeinde, umgeben von sanften Hügeln, gelegen zwischen Hermannstadt (Sibiu) und Schäßburg (Sighișoara).

Guter Geist und prominenteste Bewohnerin ist Caroline Fernolend, eine 59-jährige Siebenbürgerin mit freundlichem Gesicht und bewegender Geschichte.

Zu kommunistischen Zeiten plante Diktator Nicolae Ceaușescu, 8000 Dörfer in Rumänien abreißen zu lassen, um, so die offizielle Lesart, besseren Wohnraum für die Menschen zu schaffen; die Bauern sollten in moderne Wohnblocks ziehen, ihre eigenen Häuser in Ackerland verwandelt werden.

In Wahrheit allerdings verbarg sich dahinter ein anderer Plan. Es ging darum, die störrischen Dorfgemeinschaften zu brechen, die Verpflichtung zur Sonntagsarbeit war ein Teil davon, so hielt man die Menschen vom Gang zur Kirche ab.

Es müssen bedrückende Zeiten gewesen sein, schwierige, Angst lang über allem; es gab kaum etwas zu essen, Lebensmittel wurden auf Karten verteilt, und von dem wenigen, was die Bauern besaßen, wurden sie zu Abgaben verpflichtet. Eier, Schweine, Gras, sogar Haare standen auf der Liste.

Viele Siebenbürgen Sachsen hielten dem Druck nicht Stand - und als Ceaușescu begann, ein Kopfgeld von der Bundesrepublik für jeden ausgelieferten Rumäniendeutschen zu verhandeln, begann ein erster Exodus.

Zu denen, die blieben, gehörte Caroline Fernolend, auch wenn sie sich nach Freiheit sehnte, wie sie sagt. Jetzt sitzt sie in ihrer Küche, sie lächelt und sie strahlt dabei eine natürliche Herzlichkeit und Wärme aus, wie sie nur wenigen Menschen gegeben ist. Dass sie gerade eine schwere Krebserkrankung überstanden hat und den Tod ihrer Mutter verwindet, weiß sie gut zu verbergen.

Als  Ceaușescu starb, weinte sie - vor Freude. Sein Tod gab ihr die Chance, zu handeln. Zwar war Deutsch- Weißkirch mit dem Ende der Diktatur der Zerstörung knapp entgangen, doch befand sich das Dorf in einem erbärmlichen Zustand. Ohne Abwasser, kaputte Fassaden, noch immer hungerten die Menschen - von den wenigen verblieben Siebenbürgen Sachsen flüchteten in dieser Zeit die beinahe Letzten. Noch 300 Sachsen wohnten im Januar 1990 in Deutsch-Weißkirch, im Dezember schrumpfte die Zahl auf 68.

Doch jedem Anfang liegt bekanntlich ein Zauber inne, und als Caroline Fernolend bei einem Besuch in Deutschland sah, wie man dort "jeden Brunnen zu einem Wallfahrtsort macht", dachte sie sich: "Wir haben in Rumänien solch eine Vielzahl an Baudenkmälern, aber wir haben nichts, wovon wir leben können"  - und ihre Mission begann. Fassade um Fassade der Häuser wurde restauriert, Abwasser installiert, Telefon verlegt, neun Jahre später - 1999 - erhielt Deutsch-Weißkirch den Status Weltkulturerbe. Das Dorf gilt heute als Modell für eine gelungene Symbiose von Traditionen, Kulturerbe und sozialen Projekten.

Anfangs wurden die Vorhaben noch tatkräftig unterstützt von einer englischen Stiftung, deren Vorsitz Prinz Charles übernahm, inzwischen aber arbeitet Deutsch-Weißkirch weitgehend autark, man ist auf fremde Hilfe nicht mehr angewiesen, die Stiftung konzentriert sich längst auf andere Projekte. 

Fragt man Caroline Fernolend, wie es ihr heute geht, dann sagt sie: "Ich bin glücklich. Ich bin glücklich, dass ich hier zu Hause bin. Ich habe nie bereut, dass ich nicht nach Deutschland gegangen bin."

Von den Siebenbürgen Sachsen sind nicht viele zurückgekehrt. In ihre Häuser zogen Rumänen, die meisten von ihnen mittellose Roma. Auch in Deutsch-Weißkirch stellen sie heute 80 Prozent der Bevölkerung. Anders aber als an vielen anderen Orten ist die Integration hier zumindest weitgehend gelungen. 

Zu verdanken ist auch dies vor allem Caroline Fernolend; sie gab den Roma Anerkennung und Stolz; "Roma-Königin" hatte man sie deswegen lange verspottet. 24 Jahre war sie im Gemeinderat engagiert. In dieser Zeit bildete man die Roma im Dorf zu Handwerkern aus, man zeigte ihnen, wie man nach alter Traditionen die Fassaden restauriert, alle haben heute fließend Wasser. Als Caroline Fernolend mit ihrer Mutter zwei Monate vor deren Tod ein letztes Mal durch das Dorf fuhr, sagte sie zu ihrer Tochter: "Ich bin so beeindruckt. Schau dir ihre Häuser an. Sie sind heute schöner als die der Rumänen."

Aber weil jede Geschichte zwei Seiten hat, bleibt auch der Erfolg von Deutch-Weißkirch nicht ohne Schatten. Man kann das gut an den Wochenenden sehen. Die Dorfstraßen sind dann so zugeparkt mit den Autos von Touristen, dass für die Einheimischen mit ihrem Heu kein Durchkommen mehr ist. Und es zog eine neue junge Generation aufs Land - ausgestattet mit anderen Plänen, die "Bukarester" nennt man sie hier. Die Kunst besteht nun darin, mit allen, den Roma, den Rumänen, den  Alteingesessenen und Neubürgern einen Kompromiss zu finden.

Caroline Fernolend sagt: "Es ist eine andere Gemeinschaft geworden."

In einem Lied von den guten alten Puhdys heißt es über einen Mann, dem zeitlebens Vorurteile entgegenschlugen und der sich dennoch durchbiss: "... sein Weg war besser - er war schwer." 

Rumänien erinnert mich daran.

11 000 Mark für einen Rumänendeutschen

Die Geschichte der Deutschen in den Gebieten des späteren Rumäniens begann Mitte des 12. Jahrhunderts. Die erste und älteste Gruppe bildeten dabei die Siebenbürgen Sachsen, sie waren dem Ruf des ungarischen Königs Geza II gefolgt und ließen sich in Transsilvanien nieder. Sie kamen überwiegend aus dem Rheinland und von der Mosel, aber auch aus dem heutigen Luxemburg und Belgien. Von den anderen Bevölkerungsgruppen wurden sie generell "Sachsen" genannt und sie bezeichnen sich seither auch selbst so. Ihre Aufgabe war es, das Land urbar zu machen, aber auch es gegen Feinde aus dem Osten und Süden zu schützen. 43 Türkeneinfälle in den folgenden Jahrhunderten schweißten die Siedlungsgemeinschaften zusammen.

Nach dem II. Weltkrieg verloren auch alle Siebenbürger ihre politischen Rechte und sie wurden enteignet. Erst 1956 erhielten die Bauern ihre Höfe zurück - allerdings ohne die landwirtschaftlichen Grundstücke. 1977 bezeichneten sich unter den 21,5 Millionen Rumänen 359 000 als Deutsche, Sachsen oder Schwaben. 1978 erwirkte die Bundesrepublik eine Auswanderungsquote, nach der jährlich 10 bis 12 000 rumänische Staatsbürger deutscher Nationalität das Land verlassen durften - Deutschland bezahlet dafür ein Kopfgeld.

Für die "Operation Kanal" soll insgesamt eine Milliarde Mark geflossen sein; auch die ausreisewilligen Rumäniendeutschen selbst wurden von Rumänien zur Kasse gebeten. Rumänien soll übrigens das einzige Ostblockland gewesen sein, das von der Bundesrepublik ein Kopfgeld für jeden Ausreisewilligen verlangte. Für Akademiker wurde demnach eine Summe von 11 000 D-Mark vereinbart. Für Studierende ohne Studienabschluss gab es einen Rabatt, 1800 D-Mark waren es für Rumäniendeutsche ohne berufliche Ausbildung und Pensionierte.

1985 leben in Siebenbürgen noch 105 000 Deutsche, in der Bundesrepublik 115 000, in Österreich 15 000, in den USA und Kanada jeweils 10 000 Sachsen. Nach der Wende setzt wieder eine verstärkte Abwanderung ein; heute leben geschätzt noch 16 000 Siebenbürgen Sachsen in Rumänien.

1993 nahm die Unesco mit Birthälm in der Gemeinde Sibiu eine erste siebenbürgisch-sächsische Kirchenburg und den dazugehörigen Ortskern in das Weltkulturerbe auf. Damit war dieser einzigartigen Konstellation von Dorf und Kirche erstmals internationaler Schutz und Anerkennung gegeben worden.