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Happy End mit Hindernissen

Kamera weg. Auto kaputt. Uhr verloren. Eigentlich hatte ich einen Text schreiben wollen über die Schwierigkeiten einer Zahlenlegasthenikerin mit denen sich ständig wechselnden Währungen bei nahezu jedem Grenzübertritt - und die damit verbundenen Peinlichkeiten. Wie etwa, etwas Trinkgeld geben zu wollen, dann auf der Gegenseite aber in ein überraschtes Gesicht zu schauen verbunden mit der Frage: "Really?“ Und weil man in dem Moment merkt, dass etwas nicht stimmen kann, rechnet man schnell nach, zieht der verdutzten Kellnerin den Schein mit einem "No" wieder aus der Hand; 50 Euro umgerechnet sind dann doch zu viel - und verlässt beschämt den Laden, im Rücken die Enttäuschung der Angestellten spürend.

Und es geht auch so: Beim Kauf einer Kugel Eis im serbischen Apatin mit großzügiger Geste -  "Is okay so" - 100 Serbische Dinar auf den Tresen legen, an der Reaktion des Gegenübers aber spüren, einen Fehler zu begehen, mit hochrotem Kopf das ganze Portemonnaie zum Verkäufer reichen mit der Bitte, die korrekte Summe zu entnehmen. Vor der Tür dann die Summe überschlagen. Knapp 1 Euro hatte man für eine Kugel Eis samt Trinkgeld zahlen wollen; Respekt.

Gemessen an den aktuellen Sorgen aber sind das alles Peanuts. Denn wenn das mit den Verlusten und Einschlägen - siehe oben (von den kleinen Dingen wie Jonglierbällen, Handykabel, T-Shirt rede ich erst gar nicht)  - in dem Tempo so weitergeht, kann ich demnächst die Reise abbrechen. Glücklicherweise hatte sich zumindest das Problem mit dem alten Volvo dank Hilfe von außen schnell gelöst. Eine freundliche Nachbarin empfahl in Kroatien eine zuverlässige Werkstatt; innerhalb weniger Stunden war der kaputte Auspuff dann tatsächlich auch gegen einen neuen ausgetauscht, zugleich noch Brems- und Kupplungsflüssigkeit gewechselt - das Ganze für umgerechnet 35 Euro. Man hätte den ganzen Wagen dort sanieren lassen sollen.

Weniger glücklich allerdings verliefen und verlaufen die Entwicklungen mit Uhr und Kamera, wobei der Verlust der Armbanduhr wenigstens in Bezug auf den finanziellen Wert einigermaßen zu verschmerzen ist. Die Fototasche war mir auf einem Parkplatz gestohlen worden, samt Objektiv, samt Sim-Card, samt Powerbank, und der Versuch, mithilfe der örtlichen Polizei die Dinge wieder ins Lot zu bringen, schlugen fehl - das Equipment ist verschwunden; der serbische Geheimdienst ist auch nicht mehr das, was er mal war.

In Slowenien wurde mir die Geschichte eines holländischen Touristenpaares zugetragen, das sein Portemonnaie auf dem Autodach hatten liegen lassen - mit 10 000 Euro cash. Das Ganze fand allerdings ein gutes Ende. Eine ehrliche Haut gab das Geld tatsächlich bei der Polizei ab. 

Ich dagegen hocke aktuell allein in der serbischen Pampa in einem verlassenen Dorf mit drei verfallenen Häusern, Tausenden Grillen und zwei streunenden Hunden; kein Telefonnetz, kein Mensch weit und breit - und versuche, alles wieder in Ordnung zu bringen. Und statt wie geplant längt in Rumänien unterwegs zu sein, fahre ich Tag für Tag 40 Minuten in die nächste Stadt, ziehe am Automaten wegen limitierter Summe frisches Geld, das nach dem Versprechen meines Vermieters ein Mann bekommen soll, den ich nicht kenne, dessen Sprache ich nicht spreche, der aber ausrichten lässt, er könnte kurzfristig neues Kameraequipment  besorgen, wenngleich auch ohne Rechnung - ich weiß nicht, wie das Ganze endet. 

Nachtrag: 
Projekt abgebrochen, Pampa überstürzt verlassen, auf dem Rückweg Richtung Bukarest. Die Nummer "Geldübergabe mit offenem Ausgang" klang dann eher nach einem Drehbuch für "Aktenzeichen XY ungelöst". In Bukarest soll es ein Fotogeschäft geben, das helfen kann. 

Nachtrag 2 und zwei Tage später: 
Bukarest mit neuem Kameraequipment verlassen, Nerven am Ende - Polizei am Ort der Taten für Anzeige nochmals aufgesucht. Und dann die große Überraschung; der Chef der Station ist tatsächlich wie behauptet mit meinem Vermieter befreundet, der den Kameradeal hatte einfädeln wollen. Also doch kein Übers-Ohr-Hauen, tatsächlich nur angebotene Hilfe. Und einmal mehr zeigt sich; die Welt ist besser als man glaubt. Die Dauerpräsenz vom Bösen immer und überall in den Nachrichten haben massive Spuren hinterlassen. Und interessant ist auch -, egal, in welchem Land, immer wird das Schlechte eher hinter der eigenen Landesgrenze vermutet. Und ich erinnere mich gut, wie ich allein im Mittleren Westen der USA unterwegs war, obwohl man mir zuvor in Deutschland von der Reise abgeraten hatte und wie mir dann im Gegenzug jemand in den Staaten von einem geplanten Trip nach Europa erzählte; allerdings habe er seine Bedenken, hatte damals derjenige gemeint, man höre ja so viel Schlechtes. 

Meine Erfahrungen sind trotz alledem nahezu ausschließlich gut. Und wenn man dann noch lernt, dass in Serbien ein Polizeibeamter etwa 6000 Serbische Dinar verdient (das Doppelte vom üblichen Durchschnitt) - also 500 Euro - dafür 12 Stunden an sechs Tagen arbeitet, in einem Büro sitzt, das den Namen nicht verdient (das Foto oben zeigt das nahezu luxuriös ausgestattete Sekretariat), dann kann man am Ende vielleicht sogar verstehen, wenn Dinge sich so entwickeln wie sie sich entwickelten; wer wollte da nicht mit dem Verkauf einer Kamera dazu verdienen?! Die Unterkunft von meinem Vermieter (Haus mit Garten) hatte 22 Euro die Nacht gekostet. Gerechnet auf den Wert der Kamera sind das seine Einkünftige für ein halbes Jahr; so viel zum Thema soziale Gerechtigkeit.  

Auf einen Blick

Zeitplan komplett aus dem Ruder. Aus Kroatien hätte es noch so viel zum Nachtragen gegeben. Etwa den Besuch in Osijek im Büro der Deutschen Minderheit. Das Interview muss nach gereicht werden, vielleicht nur so viel: Anders als in vielen anderen Organisation kümmert sich dort eine junge Generation um das Erbe der Deutschen. Unter anderem wurde ein Videoprojekt mit Zeitzeugen auf den Weg gebracht, mehr dazu hier.
https://www.youtube.com/channel/UCI61Vso5HdZDM4dUETTFYyA

Lange ein Tabuthema war das Arbeitslager Valpovo in der slawonischen Tiefebene; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden Menschen mit deutschen Vorfahren dorthin deportiert, sie galten als kollektiv schuldig für die Gräueltaten der Nazis, unabhängig von ihrer Gesinnung oder Vorgeschichten. Gut jeder Dritte der 3000 Insassen in Valpovo starb an Hunger, Kälte, Typhus und körperlicher Erschöpfung, die Zahl der Opfer wird mit 1000 angegeben.

Ein Thema, was bis heute die Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien belastet: das KZ Jasanovac  südöstlich von Zagreb. Das Konzentrationslager auf dem Territorium des damaligen Unabhängigen Staates Kroatien ist 1941 vom faschistischen Ustascha-Regime errichtet worden. Es war das einzige Vernichtungslager im Zweiten Weltkrieg in Europa, in dem ohne deutsche Beteiligung planmäßig gemordet wurde. Viele Beweisstücke über die Untaten wurden nach dem Krieg - und auch noch bis in die 1990er Jahre hinein - vernichtet; daher gelten die Opferzahlen als unzuverlässig; die Lesart in Serbien ist eine andere als in Kroatien. Unter den zehntausenden Opfern waren aber ohne jeden Zweifel die meisten Serben. Um die Taten gegenüber der Nachbarschaft zu vertuschen, wurde im Lager auf den Einsatz von Schusswaffen verzichtet, stattdessen tötete man mit Messern, Holzhämmern oder Äxten. Architekt Bogdan Bogdanovic entwarf 1966 für die Gedenkstätte eine steinerne Blume. 

Kroatien in Bildern