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"Nema problema"

Es ist 11.06 Uhr, Reza stellt zwei Gläser und eine Flasche selbstgebrannten Walnusslikör auf den Tisch, und die Entschlossenheit, mit der sie die Flasche öffnet, duldet keinen Widerspruch. Vor wenigen Minuten erst war sie mit ihrem Traktor und zehn Eiern als Begrüßungsgeschenk vorgefahren, jetzt sitzt sie mit ihrer ganzen Herzlichkeit am Küchentisch und prostet mir zu. Die sehr deutsche Frage, ob die Kombination Schnaps und Traktorfahren womöglich eine nicht ganz so gute Idee sein könnten, beantwortet sie mit einem Lachen: „Nema problema“ - die kroatische Universalantwort auf alles. Und in der Tat: Kein Problem. Den Verlust eines Führerscheins muss Reza nicht befürchten, sie hat gar keinen. 

Drei Tage zuvor hatten mir zwei kroatische Grenzer noch meinen persönlichen DDR-Moment beschert. Der Weg zu ihnen war eine abenteuerliche Reise vom slowenischen Maribor über einspurige Schotterwege durchs Niemandsland gewesen, und gerade, als ich glaubte, mein Ziel wohl nie mehr zu erreichen, offenbarte sich mitten in der Pampa ein Grenzerhäuschen hinter heruntergelassenen Schlagbaum.  

Hier war die Welt noch in Ordnung. Zwei Uniformierte grüßten standesgemäß grimmig, baten wortlos um den Pass  - und verschwanden mit ihm ebenso wortlos in ihrem Kabäuschen. Bisher hatte ich auf dieser Reise alle Grenzstationen ohne Kontrollen passiert, hier aber erfüllten zwei wie aus der Zeit gefallene Grenzer mit strengem Beamtengesicht ihren Job.

Später erklärte sich mir auch der Grund. Kroatien ist seit 2013 zwar Mitglied der EU, das Land ist jedoch nicht Teil der Schengen-Zone. Außerdem tangierte der von mir eingeschlagene Weg über die sieben Berge zu den zwei Z-öllnern die sogenannte Balkan-Route.

Draga, meine Pensionsmutter in den ersten Tagen meines kroatischen Aufenthaltes, erzählte mir Stunden später, wie tatsächlich Schleuser Migranten vor allem aus Syrien via Bosnien nach Kroatien bringen,  sie an der Grenze nach Slowenien zurücklassen und wie an ihrem Haus immer wieder Frauen mit Kindern vorbei ziehen. Ich war also mitten in ein Politikum gefahren und machte noch so meine Witze. 

Im Grenzhäuschen hatten derweil die beiden Uniformierten meinen Pass mit einer Hingabe studiert, als würden sie sich die Daten später gegenseitig abfragen. Ohne den Wunsch für eine gute Reise ließen sie mich am Ende dann aber doch noch ziehen - und der Weg zu Walnusslikör war endlich frei.

Beim nächsten Mal übrigens wartete ich vergeblich auf Reza mit ihrem Traktor. Stattdessen chauffierte sie ein Bekannter in einem Kleinwagen samt Eierstichsuppe zu mir auf den Hof. Auf die Frage nach den Gründen lächelte sie spitzbübisch, zuckte die Schultern und verdrehte die Augen leicht gen Himmel. 

Mit ihren jetzt 63 Jahren hatte sie die Polizei tatsächlich ohne Papiere auf dem Traktor erwischt.
Aber: Nema nema, null problema. 

Euro statt Kuna

Wer als Tourist nach Kroatien reist, besucht üblicherweise die lange Adriaküste mit den vielen herrlichen Buchten. Ist man jedoch im Hinterland unterwegs ist, trifft man auf eine Region, die mit dem Leben am Meer nichts zu tun hat; insbesondere in den ehemaligen Kriegsgebieten herrscht Armut. Die Häuser sind unverputzt, weil die Menschen ihr weniges Geld für wichtigere Dinge benötigen. Die Menschen fahren Bus (oder Traktor), weil ihnen das Geld für ein Auto fehlt. Und: Die Regale mit Mehl, Nudeln und Öl in den Konsumgeschäften sind anders als im reichen Deutschland nicht leer gehamstert, weil das Geld zum Hamstern fehlt.

Die Durchschnittsrente liegt bei 300 Euro, und man kann sich in etwa ausrechnen, wie lange eine kroatische Rentnerin von dem Geld, das ein Tourist in einer Woche am Meer verjubelt, leben kann. 

Reich sind in Kroatien vor allem zwei Gruppen, heißt es: Die der Korrupten  - und die, die eine Kriegsveteranenrente (über 1000 Euro) kassieren. Das erklärt wohl auch das Phänomen, warum 27 Jahre nach dem Kroatienkrieg die Bevölkerung zwar immer weiter schrumpft (die Hälfte aller Kroaten lebt inzwischen außerhalb ihres Heimatlandes), zugleich aber daran gemessen die Zahl der vermeintlichen Soldaten relativ hoch. Wie auch in Ungarn ist "Handgeld" in vielen Bereichen gängige Praxis. Gegen Schmiergeld oder Tauschgeschäfte werden die Rentenbescheinigungen vermittelt oder es gibt unkomplizierter einen Termin beim Arzt oder bei den Behörden.

Kroatien ist seit 2013 Mitglied der EU - ab 1. Januar 2023 wird gegen die Skepsis vieler der Kuna durch den Euro ersetzt. 

 

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Auf einen Blick

Zahlen sagen mehr als Worte: Der Human Development Report listet Kroatien aktuell auf Platz 43 (Stand Juni 2021), vor Qatar und hinter Chile. Beim jährlichen Korruptionswahrnehmungsindex landete Kroatien zuletzt auf Platz 63 und teilte sich die Position mit Kuba, Belarus und den Portugiesen (Dänemark Platz 1, Deutschland Platz 9). Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" erstellt pro Jahr einen Bericht über die Pressefreiheit mit einer Rangliste: Danach rangiert Kroatien derzeit auf Rang 59 (Deutschland Rang 16).

Zu Kroatiens Nachbarn zählen Slowenien im Nordwesten, Ungarn im Norden, Serbien, Bosnien und Herzegowina und Montenegro im Osten.  

Der Tourismus konzentriert sich auf die mehr als 1000 Inseln und fast 2000 Kilometer lange Küste. Im Landesinneren werfen sich die Dinarischen Alpen auf. Zwischen Istrien und Dubrovnik bestimmt der Karst das Land. Die Plitvicer Seen mit den insgesamt 16 Wasserfällen sind zu einem Nationalpark zusammengefasst - und stellen neben der Küste das berühmteste Ausflugsziel. Kroatien gilt als die Nummer 2 unter den aufsteigenden Reisezielen.

In den Jahren 1991 bis 1995 
war Kroatien nach der Unabhängigkeitserklärung von Jugoslawien in einen blutigen Bürgerkrieg verwickelt. Wie die Serben gingen dabei auch die Kroaten ähnlich grausam in ihren Bestrebungen vor, die anderen Ethnien auszulöschen. Bis heute werden die Opferzahlen politisch für eigene Interessen instrumentalisiert. Zusammen mit Albanien trat Kroatien 2009 der Nato bei.

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