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Weinmutstropfen

Der georgische Wein, er könnte weltweit der beste sein, sagt Hilarius Pütz. Der Winzer und Kellermeister muss es wissen, er ist in seinem Leben viel herumgekommen. Argentinien, Chile, Mexiko, Kalifornien, Australien, Südafrika. „Doch das beste Potenzial, das ich jemals gefunden habe, ist hier.“  Allein: „Es wird nur nichts daraus gemacht. Das Land verschläft alles, was es zu verschlafen gibt.“

„Mach. Es ist egal, wo du stirbt."

Pütz - an der Mosel aufgewachsen - lebt seit beinahe 15 Jahren in Georgien. Dass er heute im Osten des Landes eine Weinmanufaktur leitet, verdankt er einer schicksalhaften Fügung. 2007 war bei ihm Krebs im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert worden, die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Wochen zu leben, und in dem Moment, als er sich quasi ins scheinbar Unvermeidliche fügte, kam ein Angebot aus Georgien. Also konsultierte er seinen Arzt, bat um eine Einschätzung, dessen Antwort: „Mach. Es ist egal, wo du stirbst.“ Pütz brach seine Zelte ab, stürzte sich in die Arbeit. Seit neun Jahren gilt er als gesund, seine Ärzte nennen es ein Wunder, er sagt: „Diese Dankbarkeit, dass ich lebe, die will ich zurückgeben, das ist der Grund, warum ich noch hier bin.

Wiege des kultivierten Weinbaus

Georgien gilt als die Wiege des kultivierten Weinbaus, auch wenn sich die Nachbarregionen über den genauen Ursprung streiten. Fakt aber ist: In Georgien entdeckten Archäologen in Tonamphoren die Reste von Traubenkernen, die sie auf das Alter von 8000 Jahren datierten. Und 2013 erkannte die Unesco die georgische Methode, den Wein in sogenannten Quevri heranreifen zu lassen, zum immateriellen Kulturerbe. 

70 Prozent des Weins werden im Osten des Landes produziert, also dort, wo auch Hilarius Pütz jetzt die Familienwinzerei "AB" leitet (siehe Karte - AB für Gründervater Avtandil Bedenashvili). Von der Terrasse des Weingutes hat man einen schönen Blick auf die Kaukasusgebirgskette, von hier sind es nur noch etwa 50 Kilometer bis zur Grenze nach Aserbaidschan, und hier auch finden sich die besten Voraussetzungen für den Wein - nämlich: tolles Mikroklima, tolle Böden. 

Als Pütz vor einigen Jahren begann, die Familie beim Aufbau der Kellerei nach deutschem Vorbild zu unterstützen, döste der Betrieb noch in einer Art Dornröschenschlaf. Heute wird das Grundstück aus eigenem Wasseranschluss versorgt, es gibt eine Schnapsbrennerei, der hier produzierte Wein geht vor allem in die Europäische Union und die Schweiz, und das hat seinen Grund.

2006 hatte Russland ein Embargo gegen georgische Agrarprodukte verhängt. Anlass soll unter anderem das einigermaßen deutliche Zitat des damaligen georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili gewesen sein: "Die Russen saufen alles, auch Pisse." Mit dem Embargo brach der Markt in Georgien zusammen, von heute auf morgen standen die Winzer vor dem Nichts, und dennoch nennt Pütz den Erlass eine glückliche Fügung. 

"Man sieht hier das schnelle Geld."

Bis zum Verbot mussten sich die georgischen Winzer nie um andere Märkte bemühen. Die Qualitäten aber, die man bisher nach Russland oder in die postsowjetischen Staaten lieferte, ließen sich anderswo nicht verkaufen. In der Folge fand ein Umdenken statt - die Geburtsstunde des hiesigen Qualitätsweins: Georgien holte sich westliche Winzer ins Land; Deutsche, Franzosen, Australier, sie sollten den Wein auf internationale Standards bringen. Und parallel dazu schickten viele georgische Betriebe junge Winzer nach Westeuropa zur Ausbildung; sie zählen heute mit zu den Besten. 

2013 allerdings fiel das Embargo und ein Teil der georgischen Betriebe damit wieder in alte Muster zurück: "Man sieht hier das schnelle Geld", sagt Pütz. "Man investiert in nichts, was erst in fünf Jahren Früchte trägt." Die großen Märkte stellen heute wieder Russland - und China.

Wie gefährlich es jedoch sein kann, sich auf nur einen Markt zu konzentrieren, zeigt sich jetzt. Wegen der politischen Krise in der Ukraine sind alle Schwarzmeerhäfen geschlossen; nichts kommt raus, nichts kommt rein; die Winzer bleiben auf ihrem Wein vom vergangenen Jahr sitzen, die Keller sind voll, dabei hat die aktuelle Weinlese gerade begonnen. Hinzu kommt: Wegen der Sanktionen fließt das Geld nicht so wie früher; zwar bringen die Russen große Mengen Rubel ins Land, die einzigen aber, die daran verdienen, sind die Banken und Betreiber von Wechselstuben.

"Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich es auch durch."

Dass zusätzlich China zum Problemfall geworden ist, hätten sich die Georgier selbst zu verdanken, sagt Pütz. Für wieder mal schnelles Geld hätten sie ihre Trauben nach China verkauft - dort produziert man georgischen Wein im großen Stil jetzt selbst. 

Hilarius Pütz erzählt das alles in einer Art Stakkato. Man merkt, wie wichtig ihm das Thema ist. Er sitzt in seiner kleinen Vinothek in Tbilisi, draußen rauscht der Verkehr vorbei, drinnen wird die georgische Seele debattiert. Er hat in den vergangenen Jahren viel gelernt, nicht immer war es einfach, und es ist es immer noch nicht. Und doch: Dass er nicht aufgibt, kämpft wie Sancho Panza gegen die Windmühlen, das erklärt er so: "Wenn ich mir etwas vornehme, dann ziehe ich es auch durch."

Er sagt, er sei dem Land etwas schuldig.